Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
was sie bereits gesagt hatte. Nur ihre Haltung hatte sich verändert. Reynolds, der sie mit hoch erhobenem Kopf und beinahe stolzem Ausdruck durch den Flur gehen sah, erkannte sie kaum wieder.
Jemand klopfte an Reynolds’ Bürotür.
Der starrte gerade in nostalgische Gedanken versunken auf ein Foto seiner Tochter aus Teenagertagen. Jetzt war sie mit einem Anwalt verheiratet und wohnte in Miami. Er konnte es kaum erwarten, Weihnachten mit ihr zu feiern.
Das Klopfen an der Tür brachte ihn in die Gegenwart zurück. Es war Bernardi.
»Setz dich, Mike. Neuigkeiten?«, fragte Reynolds.
»Ein paar«, erwiderte Bernardi mit angespannter Miene und nahm auf dem grau bezogenen Besucherstuhl Platz, auf dem vor ein paar Minuten noch die Prestipinos gesessen hatten. Die Verantwortung lastete schwer auf ihm.Viele Jahre voll harter Arbeit unter persönlichen Opfern konnten bei einem Misserfolg dieser Morduntersuchung zum Teufel sein, und das ausgerechnet jetzt, da der Traum, zum Lieutenant aufzusteigen, in greifbare Nähe gerückt war. Dabei war vorher alles so schön glattgelaufen.
»Cabot denkt nach der ersten Inspektion der Leichen, dass sie vor vielen Stunden getötet wurden, auf jeden Fall bereits gestern Abend …«
Reynolds rieb mit der Hand sein Kinn.
»Jedes Opfer ist von zahlreichen Pistolenschüssen getroffen worden, mit Ausnahme des Hausangestellten an der Tür, der nur einen Einschuss am Kopf aufweist«, fuhr Bernardi fort, indem er sein Notizbuch konsultierte, das aufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag.
»Wie viele Schüsse wurden auf die anderen Opfer abgegeben?«
»Viele. Zu viele. Das war eine regelrechte Hinrichtung. Es sind vierundvierzig Patronenhülsen eingesammelt worden, dazu mehrere Geschossspitzen und Kugeln, die aus den Wänden und dem Fußboden geholt wurden.«
Die schrecklichen Bilder von den Leichen tauchten wieder in Reynolds’ Kopf auf.
»Und welche Ergebnisse hat die Durchsuchung gebracht?«, wollte er wissen.
Bernardi berichtete, dass sie Unterlagen und Gegenstände beschlagnahmt hätten, die vermutlich die geschäftlichen Aktivitäten Rocco Fedelis betrafen: Terminkalender, diverse Notizen, Videokassetten, Handys und Fotos. »Und im Schlafzimmer haben wir einen Wandsafe entdeckt.«
»Wo genau? Und was war drin?«
»Er befindet sich hinter einem großen Bild und enthielt Papiere und Dokumente, auch Finanzielles betreffend.Ganz hinten lag ein Umschlag mit noch mehr Fotos, alle schwarz-weiß und ziemlich vergilbt.«
»Was ist darauf zu sehen?«
»Immer dieselben Personen. Ein junger Mann und eine junge Frau, an verschiedenen Orten aufgenommen: vor einem Haus, auf einem Dorfplatz, in den Bergen. Die männliche Person ist Rocco Fedeli selbst als junger Erwachsener, so wie er auf einem der beiden Bilder auf dem Schreibtisch aussieht. Auf einigen Fotos ist auch wieder diese Kirche zu erkennen.«
»Genau wie auf dem Ölgemälde«, warf der Lieutenant ein.
»Richtig.«
»Und wer ist die junge Frau?«
»Sieht nicht nach der Schwester aus.«
»Eine Freundin, Verlobte vielleicht?«
»Kann sein.«
»Habt ihr die Wohnung versiegelt?«
»Natürlich.«
»Sehr gut.«
Die Uhr an der Wand zeigte 9.30 Uhr abends an.
Bernardi saß an seinem mit Papieren übersäten Schreibtisch und las noch einmal die Berichte, in der Hoffnung, einen Sinn hinter diesen Morden zu erkennen.
Er war erschöpft.
Er stand auf, ging zum Fenster und sah auf die Straße hinunter. Einige uniformierte Polizisten kamen aus dem Haupteingang und gingen zu ihren Einsatzwagen oder auf ihre Posten. In Kürze würde die Stadt sich wie jede Nacht in ein schwirrendes Wespennest aus Gewalt und Polizeieinsätzen verwandeln.
Er ging wieder zum Schreibtisch, zündete sich eine Zigarre an, rauchte ein paar Züge, las weiter, unterbrach die Lektüre und stand wieder auf. Lief im Zimmer auf und ab. Offensichtlich beschäftigte ihn etwas.
Um zehn trafen seine Mitarbeiter ein, und die Besprechung begann. Es war kalt im Büro; sie ließen ihre Anoraks an, rückten dicht zusammen und diskutierten den Fall. Der älteste Detective, der völlig ergraut war und ein breites, fleischiges Gesicht hatte, ergriff als Erster das Wort. In den Krankenhäusern seien bisher keine verdächtigen Personen mit Schusswunden registriert worden, teilte er mit.
»Damit könnt ihr aufhören, die Kugel ist gefunden worden«, sagte Bernardi und überprüfte das noch einmal auf seinem Notizblock. Wie dumm von ihm, er hatte vergessen, seine Leute darüber
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