Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
nickte bloß knapp.Dann sagte er bemüht ruhig: »Ich weiß, ich weiß, Angela, reg dich bitte nicht so auf. Das schadet der Gesundheit. Wenn du so weitermachst, trifft dich noch der Schlag.«
»Ein Scheißdreck trifft mich, Alfredo! Sie haben meine drei Brüder ermordet, kapierst du das nicht? Und wenn du so um meine Gesundheit besorgt bist, dann sag mir die Wahrheit! Du weißt doch etwas …«
Alfredo sah sie fragend an.
»Sag mir endlich, was Don Ciccio von dir wollte.«
»Von mir?«
»Ja, von dir! Am Samstag, als wir vom Friedhof kamen, bist du doch zu ihm nach Hause gegangen, oder?«
»Ja.«
»Also, was wollte er? Und erzähl mir keinen Mist, Alfredo. Von dir will ich wirklich keinen Mist hören, verstehst du?« Angela erhob sich, baute sich vor ihrem Mann auf und sah ihm in die Augen. Ihr Blick durchbohrte ihn wie eine Messerklinge. Sie gab sich nicht mit der Antwort zufrieden, die sie am Tag der Beerdigung von ihm gehört hatte, als er nach Hause gekommen war. »Nichts wollte er, nur ein bisschen mit mir reden«, hatte Alfredo gesagt. Sie hatte nicht weiter insistiert, ihm aber nicht geglaubt, und jetzt verlor sie langsam die Geduld. Ihr Mann musste mit der Wahrheit herausrücken, wie auch immer sie lautete. Doch er schwieg hartnäckig, die Augen auf den Tisch gesenkt, als wollte er sich verstecken oder in Luft auflösen.
»Sieh mich an, wenn ich mit dir rede! Sieh mich an, verdammt noch mal! Heute Abend muss ich die Wahrheit hören! Er wollte also nur mit dir reden, ja? Worüber denn, Alfredo? Worüber wollte er so dringend mit dir reden? Übers Pilzesammeln? Erzähl mir doch keinen Scheiß!«
Ihr Mann fühlte sich eingeschüchtert und winzig klein,wie eine Taufliege, die gleich zerquetscht würde. Noch nie hatte er sie so außer sich und so entschlossen erlebt. Noch nie hatte er sie so viel fluchen hören. Nein, das war nicht mehr die Frau, die er geheiratet hatte und die ihm eine Tochter geschenkt hatte. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen.
»Über nichts Besonderes, Angela. Das Übliche eben. Wie es uns geht, wie es sich so in Amerika lebt und so weiter. Glaub mir, Don Ciccio ist wirklich sehr betrübt über das, was passiert ist«, antwortete er und hob den Blick ein wenig.
»Wegen Rocco?«
»Wegen allen. Auch wegen deiner anderen beiden Brüder und deines Cousins. Sie haben alle zur Familie gehört.«
»Du redest immer noch Scheiße daher, Alfredo. Du antwortest mir immer noch nicht ehrlich. Das ist schlimm. Verstehst du das nicht? Ich dulde so etwas nicht! Ich will jetzt die Wahrheit wissen. Einfach nur die Wahrheit …«
Er schüttelte den Kopf, als wollte er die Frage dadurch wegwischen. Er redete nicht gern über seine Zusammenkünfte mit dem Boss. Noch nicht einmal mit ihr, seiner Frau.
»Sag so etwas nicht. Ich bin immer aufrichtig zu dir gewesen. Und zu deiner ganzen Familie. Die auch meine Familie ist«, erwiderte er und klang zum ersten Mal gekränkt.
»Dann sag mir, was Don Ciccio von dir wollte«, drängte sie ihn.
Alfredo schien zu überlegen, während Angela ihn weiter unverwandt ansah. Er wusste, dass er ihr eine andere Antwort geben musste. Er war verwirrt, sein Kopf ein Strudel übler Gedanken, deretwegen er wahrscheinlich keinen Frieden mehr finden würde. Nie wieder.
»Na schön, Angela. Wie du willst …«
»Rede!«
»Er hat mich nach meiner Tante, meinem Onkel, meinem Cousin gefragt. Wie es ihnen geht, was sie so machen. Er hat sie seit einer Ewigkeit nicht gesehen, weißt du, und er hängt sehr an dem Mann meiner Tante. Sie sind zusammen aufgewachsen.«
»Nichts weiter, Alfredo? Nur wie es deinen Verwandten geht? Was heißt das? Wenn er dich nach deinen Verwandten gefragt hat, nach deinem Cousin, muss etwas Wichtiges dahinterstecken … Ich kenne sie doch …«
»Du musst mir glauben. Kann sein, dass er mir noch etwas anderes sagen will, ehe wir abreisen, weil er mich gebeten hat, noch einmal zu ihm zu kommen. Er will mir etwas für sie mitgeben …«
»Was will er dir mitgeben?«
»Das hat er nicht gesagt, und du weißt doch, dass man Don Ciccio keine Fragen stellen darf.«
»Du sagst mir schon wieder nicht die Wahrheit!« Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände.
»Ich sag dir jetzt was, Alfredo, ein für alle Mal: Denk heute Nacht darüber nach, und morgen will ich alles wissen, sonst ist es besser, wenn du gehst. Dann will ich dich nicht mehr wiedersehen«, verkündete sie in beinahe
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