Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Zusammenlebens ohne Trauschein gewesen war,begannen nun erstmals Zweifel zu kommen hinsichtlich der Ehe und der »gesunden« Regeln über Heirat und Familie, mit denen er aufgewachsen war. Vielleicht musste er seine Meinung über Liebesbeziehungen seiner Mitarbeiter untereinander doch revidieren. Er betrachtete Agent Cook mit neuen Augen.
»Setzen Sie sich bitte«, lud er sie ein und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
»Danke, Chef.« Mary Cook nahm anmutig Platz.
»Was Neues von den Telefonen im Restaurant und Hotel von Rocco Fedeli?«, erkundigte sich Moore.
»Nein, absolut nichts, was für die Ermittlungen relevant wäre. Nur Gäste, die reservieren möchten, und Angestellte, die nach Hause telefonieren. Ich stehe in ständigem Kontakt mit der Detective Squad.«
»Was ist mit unseren Telefonüberwachungen?«
»Auch da nichts. Keine Äußerungen der Personen, die in letzter Zeit Verbindung zum Opfer gehabt hatten. Als wäre nichts passiert. Als hätte niemand Rocco Fedeli gekannt …«
»Und doch haben wir sie mit ihm zusammen fotografiert«, sagte Moore.
»Offenbar wollen sie nicht darüber reden«, meinte Mary Cook.
»Gut. Das heißt, schlecht, aber macht trotzdem weiter.«
»In Ordnung.«
Dann berichtete Moore ihr, was er soeben von dem Techniker erfahren hatte.
»Immerhin etwas«, sagte Mary Cook. »Und der Reifenabdruck?«
Da fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, danach zu fragen.
»Darüber hat er nichts gesagt. Wahrscheinlich weil es nochkein Ergebnis gibt«, antwortete er ausweichend und fügte hinzu: »Haben Sie etwas von Bill gehört?«
»Heute noch nicht.«
»Sie können ihn anrufen und ihm diese Neuigkeiten mitteilen.«
»Mach ich sofort, Sir.« Ihre Augen schienen plötzlich noch mehr zu leuchten.
Neiderfüllt sah Dick Moore ihr nach, als sie das Zimmer verließ.
An diesem Mittwochabend führte das Ehepaar Prestipino eine hitzige Auseinandersetzung, deren einziger Zeuge das silbrige Mondlicht war, das durch die Fenster hereinfiel.
Die beiden befanden sich in dem äußerlich bescheidenen Haus, das sie von Angelas Vater geerbt hatten und das mit den Einkünften aus den ersten Lösegelderpressungen der Siebzigerjahre erbaut worden war. Sie saßen sich in der Küche gegenüber und musterten sich wie Kontrahenten, die sich einzuschätzen versuchen. Auf dem Tisch standen Tabletts mit herzhaften Gerichten und Süßspeisen, die Verwandte und Freunde zu dem Trauerhaus gebracht hatten, wie es in dieser Gegend Brauch war. Ihre Gedanken jedoch kreisten um etwas ganz anderes.
Ihre Tochter Maria übernachtete bei der Großmutter mütterlicherseits, die sie nur selten und dann auch immer nur für kurze Zeit zu Gesicht bekam. Maria bedauerte das sehr und hätte die Großmutter am liebsten mit nach Amerika genommen, wusste aber, dass das wegen des hohen Alters, der Verwurzelung in den Traditionen und der grenzenlosen Liebe der alten Dame zum heimatlichen Kalabrien nicht möglich war.
»Alfredo, warum hat sich Don Ciccio bei der Beerdigung so abseits gehalten? Und warum hat er Mama immer noch nicht seinen Beileidsbesuch abgestattet? Weißt du das?«, feuerte Angela plötzlich aus nächster Nähe − wie ein Schuss aus einem Gewehr mit abgesägtem Lauf. Diese Fragen nagten an ihr. Don Ciccios Verhalten war merkwürdig. Schließlich kannte sie die Regeln der »Familie« in- und auswendig.
»Was weiß denn ich, Angela … Don Ciccio ist alt und nicht mehr bei bester Gesundheit – du hast ihn doch gesehen. Er geht am Stock!«
»Nein, Alfredo, damit kannst du mir nicht kommen. Nicht mir … Don Ciccio wäre auch erschienen, wenn er mit einem Bein im Grab stünde. So ist es Sitte seit jeher. Respekt ist Respekt, basta!«
Ihre Worte kamen jetzt hart und entschieden. Ihre Augen blitzten vor Zorn, und ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, wie ihn ihr Mann in all den Ehejahren noch nicht gesehen hatte.
»Die Zeiten haben sich geändert, Angela …«
»Was redest du denn da? Die Zeiten ändern sich, aber nicht Don Ciccio und solche wie er. Die ändern sich nie. Sie können sich nicht ändern. Nicht einmal in hundert Jahren. Das weißt du genau. Du bist hier aufgewachsen, so wie ich. Auch ich kann mich nicht ändern, obwohl ich weit weg wohne – ich werde immer eine Fedeli bleiben. Das weißt du doch! Oder etwa nicht?« Bei den letzten Worten verriet ihre Stimme eine Spur von Empörung.
Alfredo hatte nicht mit dieser Reaktion gerechnet und zog es vor, einen Moment zu schweigen. Er
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