Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Bemerkungen über die Polizeiaktion herausfiltern zu können. Colonnello Trimarchi übernahm es indessen, den Staatsanwalt anzurufen. Dieser hatte ihn bei der Übergabe des Durchsuchungsbeschlusses gebeten, ihn zu jeder Uhrzeit über die Aktion zu informieren, auch mitten in der Nacht. Also hatte er keine Bedenken und wählte seine Nummer.
»Ich komme später auf einen Sprung bei Ihnen vorbei«, sagte Dottor Romeo, kein bisschen verärgert. »MeinenGlückwunsch, Colonnello! Auch an Ihre Leute! Das war ausgezeichnete Arbeit. Schon so viele Jahre fahnden wir vergeblich nach Ferrante. Er wird sich für mehrere Morde verantworten müssen.«
»Wir haben Glück gehabt«, sagte Trimarchi.
»Ja, aber dem Glück muss man auf die Sprünge helfen. Und das haben Sie getan.«
Der Colonnello hatte kaum den Hörer aufgelegt, als ein Carabiniere mit strahlender Miene hereinstürzte.
»Signor Colonnello, Alfredo Prestipino will reden«, verkündete er und blieb vor seinem Schreibtisch stehen.
»Ich werde ihn so bald wie möglich anhören. Hat der Polizeiarzt ihn schon untersucht?«
»Ja, Signor Colonnello.«
»Wie geht es ihm?«
»Den Umständen entsprechend gut. Er hat nur Sehschwierigkeiten, was aber normal ist in seinem Fall. Der Arzt hat uns versichert, dass er nicht ins Krankenhaus muss.«
»Umso besser.« Der Colonnello wechselte einen Blick des Einverständnisses mit Ferrara und den Amerikanern und ordnete dann an: »Sag ihm, dass ich ihn gleich empfangen werde. Aber lasst ihn nicht allein. Nicht einmal für einen Augenblick.«
»Selbstverständlich, Signor Colonnello. Wir haben ihn keine Sekunde aus den Augen gelassen. Selbst nicht in Anwesenheit des Arztes.«
»Gut.«
»Er kam mir sehr mitgenommen vor, wissen Sie«, fügte der Carabiniere hinzu. »Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, dass er gleich in Tränen ausbrechen würde.«
»Sag Bescheid, dass ich ihn gleich zu mir bitte«, erwiderte der Colonnello.
Er wollte sich gerade an die amerikanischen Kollegen wenden, als das Telefon klingelte. Er nahm ab. Es war die Rechtsanwältin. Aha, dachte Trimarchi, auf die habe ich nur gewartet.
»Ich möchte wissen, ob mein Mandant Antonio Russo bei Ihnen ist. Und falls ja, würde ich gern den Grund erfahren«, sagte sie, nachdem sie sich vorgestellt hatte.
»Ja, er ist hier. Er befindet sich in Haft«, antwortete Trimarchi knapp.
»Darf ich den Grund wissen?«
»Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung unter anderem.«
»Unter anderem? Was heißt das?«
»Das kann ich Ihnen im Moment nicht sagen, die Operation ist noch nicht abgeschlossen.«
»Aber mein Mandant ist krank. Ich möchte ihn sehen, um seinen Gesundheitszustand einschätzen zu können.« Es war keine Frage für Trimarchi, wie die Anwältin Kenntnis von der Verhaftung erlangt hatte. Er wusste nur allzu gut, dass es immer heimliche Boten gab.
»Sie können ihn jetzt nicht besuchen, Avvocato. Ihrem Mandanten geht es gut. Falls er medizinische Hilfe benötigen sollte, werden wir uns darum kümmern. Deswegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«
»Kann ich ihn wenigstens kurz sehen?«
»Nein. Eine Unterredung muss vom Staatsanwalt genehmigt werden. Sie kennen die Gesetze. Auf Wiederhören, Avvocato.« Entnervt legte er auf.
Dann wies er die Telefonzentrale an: »Stellen Sie mir bitte keine Anrufe von Rechtsanwälten mehr durch. Sagen Sie einfach, dass niemand im Büro ist.«
Er kam mit niedergeschlagener Miene herein.
In seinen tief liegenden Augen spiegelte sich offensichtliche Qual. Der Blick war ins Leere gerichtet. Zwei ausgeprägte Falten zerfurchten seine Wangen, während die gebeugten Schultern das Gewicht der Welt zu tragen schienen. Er war so nervös, dass er keinen Augenblick stillhalten konnte und ständig auf seinen Lippen herumkaute.
»Fühlen Sie sich nicht gut? Was fehlt Ihnen?«, fragte Trimarchi. »Seien Sie ganz unbesorgt, Sie sind hier in Sicherheit. Bitte setzen Sie sich, Signor Prestipino.«
Der Angesprochene ließ sich langsam auf einem der beiden Stühle vor dem Schreibtisch nieder. Er legte die Hände auf die Knie und schielte zu dem anderen Stuhl hin, um zu sehen, wer dort saß.
Trimarchi stellte sich vor. »Ich bin der Leiter dieser Ermittlungszentrale. Sie haben mich schon auf dem Gutshof gesehen. Und der Herr neben Ihnen ist Commissario Michele Ferrara. Er kommt aus Rom.« Dann sagte er auffordernd: »Sie wollten mit mir sprechen?«
Prestipino taxierte beide Männer lange stumm und sah prüfend vom
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