Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Reitutensilien.
Ein geheimer Bunker.
An einer Seite gab es eine Dusche und zwei Stockbetten.
Ein perfekter Unterschlupf.
In der Zwischenzeit waren Trimarchi, Foti und Carraccinacheinander hineingegangen. Carracci kam als Letzter, kreidebleich im Gesicht.
»Der rechts von Russo ist doch Peppino Ferrante!«, zischte Foti dem Colonnello ins Ohr und riss die Augen auf.
»Er ist es, in der Tat.«
Peppino Ferrante war ein ’Ndrangheta-Boss, Capo der gleichnamigen ’Ndrina und seit über zehn Jahren untergetaucht. Sein Name stand auf einer Liste des Innenministeriums mit den dreißig gefährlichsten polizeilich gesuchten Kriminellen. Gegen ihn lagen mehrere Haftbefehle wegen Mordes und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung mafiöser Art vor. Er war der bekannteste Flüchtige der Region. Einer, der nicht zu fassen war. In letzter Zeit hatte man sogar gemunkelt, er sei tot, vielleicht an einer schweren Krankheit gestorben. Er sah ziemlich ungepflegt aus: Dreitagebart, weiß wie seine spärlichen Haare. Wie er so vor ihnen saß an diesem Ort und in dieser Situation, kaum mehr als eins sechzig groß, alt, dürr, in Kordhose und dickem Pullover, wirkte er wie ein harmloser Greis. Einer von den vielen Bauern, die mit von der Plackerei gekrümmtem Rücken ihre Scholle bestellten. Doch der Anblick täuschte. Er war ein brutaler ’Ndranghetista, gefürchtet und respektiert, und das nicht nur auf seinem eigenen Territorium.
Die Männer des NOCS legten allen Handschellen an. Peppino Ferrante und der Mann neben ihm trugen Waffen im Hosengürtel, einen Revolver Smith&Wesson Kaliber 38 spezial und eine Beretta Modell 81. Beide mit abgefeilter Seriennummer. Der Colonnello verständigte unterdessen per Funk Ferrara und die Amerikaner.
Aber damit waren die Überraschungen noch nicht zu Ende.
Plötzlich war ein gedämpftes, rhythmisches Geräusch zu vernehmen, das von den Mauern widerhallte. Es schien aus der entlegensten Ecke zu kommen.
Einige Polizisten vom NOCS gingen mit angehaltenem Atem darauf zu. Unter den Stockbetten fanden sie eine alte hölzerne Falltür. Sie klappten sie ohne Schwierigkeiten auf, und ein ekelhafter Gestank aus Schafwolle, Fleisch und Mist stieg ihnen aus der Dunkelheit in die Nase, während das Geräusch lauter wurde. Keine Frage, es kam von dort unten. Als würde jemand mit einem Gegenstand an die Wand schlagen.
Zwei Polizisten kletterten hinab und bahnten sich ihren Weg im Schein der Taschenlampen. Der Boden, auch hier aus gestampftem Lehm, senkte sich ungleichmäßig ab. Die Wände waren aus unverputztem Stein.
Je weiter sie gingen, desto mehr nahm der Gestank zu. Am anderen Ende dieses Schachts sahen sie einen Schatten. Eine Gestalt saß dort mit dem Rücken zu ihnen auf dem Boden, das Gesicht der Mauer zugewandt, beide Hände daran abgestützt. In der rechten hielt sie einen metallenen Gegenstand.
»Hallo? Wer ist da?«
Keine Antwort.
Langsam traten sie näher und bemerkten, dass die Füße des Unbekannten mit einer Eisenkette gefesselt waren, die mit einem dicken Ring am Boden befestigt war.
»Bringt mir einen Bolzenschneider«, schrie einer der Beamten zur Falltür hinauf. Sein Kollege nahm dem Mann inzwischen die Kapuze ab, die Kopf und Hals bedeckte, und entfernte das Paketband, mit dem man ihm den Mund zugeklebt und den Kopf umwickelt hatte.
Der Mann war bleich und verängstigt, begann aber nachund nach wieder richtig zu atmen. Er rieb sich die geröteten Ohren und wischte sich die Tränen ab, die ihm über die Wangen liefen. Dann strich er mit den Fingern die schütteren Haare zurück, die ihm an der Stirn klebten. Er sagte kein Wort, als bereitete es ihm Mühe zu sprechen. Nur ein leises Winseln kam über seine Lippen.
Nach ein paar Minuten brachte ein anderer Polizist den Bolzenschneider. Damit befreiten sie den Mann von der Kette, stützten ihn unter den Armen und halfen ihm aufzustehen. Dann hielten sie ihm eine Feldflasche voll Wasser an den Mund.
»Nur Mut, Sie haben es überstanden! Trinken Sie, so ist’s gut, noch ein bisschen …«, redeten sie ihm gut zu. Dann brachten sie ihn langsam und vorsichtig nach oben.
Inzwischen hatten auch Ferrara und die Amerikaner den Keller erreicht.
»Das ist ja Alfredo Prestipino!«, rief Detective Bernardi verblüfft, da der Mann mit einem Mal viel älter aussah als noch vor ein paar Tagen in New York.
Alle starrten Prestipino an.
Nur Antonio Russo sah woandershin. Sein Blick, schneidend wie eine Schwertklinge, war auf
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