Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Ferrara gerichtet. Ferrara musterte ihn seinerseits mit wachsendem Interesse. Kurz sah er in dessen Augen etwas aufblitzen. Es war keine Angst. Es war etwas anderes, etwas, das ihm überhaupt nicht gefiel. Dann blickte er auf die Wand hinter dem Boss und erkannte in dem dort hängenden Heiligenbild die Madonna d’Aspromonte mit der Krone und dem Jesuskind auf dem Arm.
Antonio Russo stand stumm und versteinert da wie eine Statue.
»Bringt sie hier raus und gleich in unser Büro in Reggio Calabria«, befahl Trimarchi. »Und ihr«, fügte er an einige seiner Mitarbeiter gewandt hinzu, »überlasst das Feld erst der Spurensicherung, bevor ihr dann alles durchsucht. Dieser Keller muss vollständig auf den Kopf gestellt werden. Bis dahin seht euch auch die Wohnräume noch einmal genauer an.«
Die Beamten von der DIA setzten sich in Bewegung.
»Nein, nicht Prestipino«, sagte Trimarchi, als einer seiner Leute den Mann wegbringen wollte. »Den lasst ihr hier. Er kommt mit uns.«
Auf einmal regte sich Antonio Russo. »Hören Sie, Sie dürfen mein Haus nicht …«
»Hier ist der Durchsuchungsbeschluss«, schnitt ihm der Colonnello das Wort ab und hielt ihm das Schriftstück unter die Nase. »Er ist vom Oberstaatsanwalt und einem seiner Stellvertreter unterschrieben.«
Der Boss zuckte die Achseln.
»Außerdem haben wir hier eine offensichtliche Straftat festgestellt. Sogar mehrere: Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung, Menschenraub, Begünstigung eines Gesetzesflüchtigen, unerlaubter Waffenbesitz, und das ist noch nicht alles … Sie werden uns auch erklären müssen, was Sie mit diesem Ding da in dem Koffer angestellt haben«, sagte Trimarchi. »Das sind alles Delikte, die eine sofortige Festnahme und Hausdurchsuchung zulässig machen, ja erfordern.«
»Ich will meinen Anwalt sprechen«, erwiderte Russo darauf.
»Auf den können wir nicht warten. Wir werden ihn verständigen, aber trotzdem schon mit der Durchsuchung beginnen. Unser Einsatz ist in vollem Gange. Wie heißt Ihr Anwalt?«, erkundigte sich Trimarchi. Als der Boss den Namen nannte, lächelte er. Das hatte er erwartet: Es war eineFrau, die in einem Dorf in der Nähe, rund zehn Kilometer entfernt, wohnte. Sie war dabei, sich trotz ihrer Jugend einen Namen in ihrem Beruf zu machen, indem sie die Verteidigung von Mafiaangehörigen in der Region übernahm.
»Sie nehmen da eine große Verantwortung auf sich«, sagte Antonio Russo drohend. »Sie wissen ja nicht, was Sie tun!«
»Das lassen Sie mal unsere Sorge sein«, entgegnete Trimarchi trocken.
Antonio Russo sagte nichts mehr. Er fing an, sich wie ein Löwe im Käfig zu fühlen.
Der Colonnello, Ferrara und die Amerikaner verließen den Bunker, während Carracci zusammen mit Bruni zurückblieb. Er wollte den gesamten Einsatz verfolgen. Als er allein war, bemächtigte er sich sofort des Koffers mit dem Satellitentelefon. Vielleicht nur aus Neugier.
Als Ferrara wieder im Freien war, atmete er tief durch. In diesem Bunker da unten hatte er fast Platzangst bekommen. Ehe er ins Auto stieg, schnupperte er den Bergamottduft, mit dem die Luft gesättigt war. Dieser Duft weckte in ihm Erinnerungen an alte Zeiten. Die erste Phase der Operation Bergamottblüte war erfolgreich abgeschlossen. Er fühlte Stolz und Ergriffenheit. Das hatte er nicht mehr erlebt, seit er die Squadra Mobile von Florenz verlassen hatte.
Ein paar Polizisten, die die Verhafteten zu den Fahrzeugen gebracht hatten, schlug unversehens eine heftige Bö entgegen. Ihre Stimmen, ob leise oder laut, wurden vom Wind fortgerissen wie trockenes Laub, wie Puder oder Papierschnipsel.
Schnell eilten sie ins Haus zurück.
Die Autobahn war zu dieser Stunde fast leer.
Es war vier Uhr am Sonntagmorgen.
Die Polizeiwagen schossen durch die vielen Tunnel und über die hohen Viadukte und erreichten in wenig mehr als einer Stunde den Sitz der DIA . Die Festgenommenen wurden sofort in getrennte Räume geführt und jeder per Handschellen mit einer Hand an einen Stuhl gefesselt. Zwei Polizisten pro Raum bewachten sie. Andere Beamte begannen, das bis dato beschlagnahmte Material zu katalogisieren und die Protokolle aufzusetzen. Alle befanden sich in einem euphorischen Zustand, und keiner dachte daran, nach Hause zu gehen, um zu schlafen. Im Raum für die Telekommunikationsüberwachung warteten andere Mitarbeiter darauf, dass die Telefone klingelten, in der Hoffnung, aus Gesprächen unter den Angehörigen der verhafteten Mafiosi irgendwelche
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