Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
Bärendienst erwiesen, dass ich die Sache nicht früher angesprochen habe. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die anderen Kinder es mitbekommen. Caleb spürt es schon in gewissem Sinne, glaube ich. In seinem Alter wird es nicht mehr lange dauern, bis er den Grund dafür benennen kann, warum er sich Wochenenden ›nur mit unserer Familie‹ wünscht.«
Nelson versuchte etwas einzuwenden, doch Richard unterbrach ihn. »Schau mir in die Augen und sag mir, dass du nicht in meine Frau verliebt bist«, verlangte er.
Als sich das Schweigen zwischen ihnen mehr und mehr in die Länge zog, ergriff Richard erneut das Wort. »Nelson, ich glaube, es wäre das Beste für uns alle, wenn du deine Besuche bei mir zu Hause auf ein- bis zweimal im Jahr beschränkst«, sagte er auf seine sanfte Art. »Du kannst mich jederzeit im Büro aufsuchen, aber …«
»Hat Elisa dich gebeten, mir das zu sagen?«
»Nein, bis jetzt ist das eine Sache zwischen uns beiden«, antwortete Richard. »Willst du, dass ich mit ihr darüber spreche?«
»Nein«, erwiderte Nelson hastig. Das wäre die ultimative Demütigung gewesen. »Ich würde dich bitten«, fügte er mit leicht bebender Stimme hinzu, »es ihr gegenüber niemals zu erwähnen. Es wäre ihr so … unangenehm.«
Richard willigte ein und dankte ihm für sein Verständnis. Die Verbannung. So hatte Nelson diesen schrecklichen Tag in Erinnerung. Nun gestand er sich ein, dass er sich bereits lange vor der Verbannung ausgemalt hatte, wie praktisch es wäre, wenn Richard sterben würde. Immerhin war er nicht so weit gegangen, Mordpläne gegen ihn zu schmieden. Er wünschte ihm lediglich einen tödlichen Autounfall, einen Badeunfall oder einen Herzinfarkt. Etwas Schnelles.
Die Verbannung erleichterte es ihm, Giles zuzuhören, wenn er davon sprach, die Besten und Intelligentesten in die Einflusssphäre der Familie zu bringen und Kinder – die andernfalls nie ihr volles Potenzial ausschöpfen könnten – den Eltern wegzunehmen, die sie behinderten. Anders von Richard zu denken, ihn als hartherzig und irregeleitet zu betrachten. Zu glauben, dass Giles’ Pläne Nelson das verschaffen könnten, was er wollte. Er überzeugte sich selbst davon, dass das auch Elisa zu einem besseren Leben verhelfen würde. Er könnte sie besser lieben, ihr mehr bieten.
Auch sein Part war ganz einfach. Jenny, das Kind, mitnehmen. Jenny kannte ihn und vertraute ihm. Er hatte sie bereits zu Besuchen bei Roy und Victoria mitgenommen, und sie liebte Victorias Töchterchen Carrie. An diesem Tag tat er nichts anderes als das, was er an drei anderen Morgen auch getan hatte. Da er nicht mehr zu ihnen nach Hause kam, hatte Richard nichts gegen seine kurzen Besuche im Büro einzuwenden. Er habe Nelson vermisst, sagte er. Jenny freute sich eindeutig, ihn zu sehen. Und Richard konnte sich besser seiner Arbeit widmen, wenn sich Nelson um Jenny kümmerte.
Als Nelson schließlich an diesem letzten Morgen kam und Jenny fragte, ob sie mit ihm kommen wolle, zögerte sie nicht.
Zwei Kunden, denen er von Nelson empfohlen worden war, fanden Richards Leiche – ganz wie von Nelson erwartet. Als die Polizei eintraf, baten die Kunden die Beamten, Nelson zu verständigen, genau wie Giles es prophezeit hatte.
Der schreckliche Mordschauplatz ließ Nelson fast ohnmächtig werden. Er war nicht darauf vorbereitet, dass so viel Blut fließen und Richard so … beschädigt sein würde. Ein einziger Gedanke wiederholte sich unablässig in seinem Kopf:
Was habe ich getan? Was habe ich getan? Was habe ich getan?
Mit diesem Grauen hatte er nicht gerechnet. Er merkte, dass der Groll, den er gegen Richard empfunden hatte, kleinlich und töricht war. Er dachte an den kleinen Richard, den er stets beschützt und um den er sich gekümmert hatte, genau wie es sich für einen großen Bruder gehört, und schlagartig überfiel ihn unermessliche und aufrichtige Trauer.
In seinen rosig verbrämten Hirngespinsten, wie alles verlaufen würde, ehe es tatsächlich geschah, war er Elisa nahe, tröstete sie und begann ein neues Leben mit ihr. Mason, der ihr alles vergällte, säße im Gefängnis, zumindest eine Zeitlang. Obwohl sie niedlich war, hätte Jenny es ihnen schwergemacht, die Art von ewigen Flitterwochen zu leben, die er sich für sie beide ausmalte. Er wusste, dass Elisa ihre Tochter vermissen würde, doch die Kleine würde eine herrliche Kindheit verleben, mit mehr Vorteilen, als sie Richard zu bieten gehabt hätte, und anderen Kindern um sie
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