Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
den Killer verjagt, ehe er die Böden wischen konnte. Ich hatte flache Schuhe mit weichen Sohlen getragen. Die Sohlen des Mörders besaßen ein ausgeprägtes Muster und ein Profil – also ein Laufschuh, ein Wanderstiefel oder irgendetwas in der Art.
Der Regen hatte nachgelassen, als der Mann von der Spurensicherung die Fußabdrücke untersuchte, die der Mörder auf seiner Flucht durch den Garten hinterlassen hatte. Nicht weit von der Hintertreppe entfernt bückte er sich und meinte, er könne wahrscheinlich gute Abdrücke von den Stellen nehmen, wo der Täter mit seinen Schuhen ein bisschen in die weiche Gartenerde eingesunken war. Ich war erleichtert, da ich schon befürchtet hatte, meine Spuren im Haus hätten womöglich die tatrelevanten Spuren verwischt.
Kurz darauf rief er aufgeregt nach Vince und Reed.
Vince ging zu ihm, um zu sehen, was ihn so aus dem Häuschen brachte, und kehrte grinsend ins Haus zurück.
»Aschenputtel hat uns einen Schuh dagelassen.«
»Ihr habt einen Schuh gefunden?«
»An einer besonders matschigen Stelle im Garten ist der Schuh offenbar hängen geblieben. Wahrscheinlich habt ihr ihn so erschreckt, dass er sich nicht die Zeit genommen hat, ihn rauszuziehen.«
»Seid ihr sicher, dass es ein Er ist?«
Vince zuckte die Achseln. »Es ist ein Männer-Laufschuh, aber er ist nicht besonders groß. Auch eine Frau hätte ihn getragen haben können.«
An dieser Stelle meiner Geschichte hakte Frank ein. »Wenn sie an dem Schuh DNA-Spuren finden, können sie diese Frage beantworten.«
»Und wie lange dauert das?«, wollte Ethan wissen.
»Wenn sie Druck machen und die Sache auf der Prioritätenliste ganz nach oben kriegen, ein paar Tage. Aber wenn nicht, dann weiß Gott wie lang – ein paar Monate oder ein Jahr.«
»Aber selbst dann ist der Fall nicht unbedingt gelöst«, sagte ich. »DNA am Tatort ist nur die eine Hälfte der Gleichung. Sie muss ja auch zu einer DNA-Probe von jemandem passen, der im Strafregister steht.«
»Auch das reicht nicht aus«, entgegnete Frank. »Sie muss zu einer DNA-Probe von jemandem passen, dessen Probe genommen, analysiert und in einer staatlichen oder bundesstaatlichen Datenbank gespeichert worden ist.«
»Ich dachte immer, wenn man DNA hat, ist der Fall gelöst«, sagte Ethan.
»DNA ist ein tolles Beweismittel«, räumte Frank ein, »und sie ist sehr wichtig. Aber sie ist nicht die einzige Art von Beweismitteln, die das Labor analysieren muss, und außerdem findet man sie nicht an jedem Tatort.«
»Aber wenn man welche hat …?«
»Ethan, das ganze System ist total überlastet. Es gibt schon einen Rückstau der DNA-Proben von Verurteilten, nicht nur von Tatort-DNA. Außerdem kann es gut sein, dass der Täter noch nie straffällig geworden oder in keiner DNA-Datenbank ist, und dann nützt die DNA nur etwas, wenn die Ermittler durch mühevolle Kleinarbeit einen Verdächtigen finden.«
»Und dann dauern die Tests immer noch eine ganze Weile, schätze ich.«
»Genau. Und wenn die beiden Proben nicht zusammenpassen, stehen wir wieder ganz am Anfang. Habe ich schon erwähnt, dass man dann noch die Geschworenen überzeugen muss?«
Gegen halb drei Uhr morgens hatten wir sämtliche Probleme des Strafrechts im wahrsten Sinne des Wortes erschöpfend diskutiert.
Altair zog die Seite neben Franks Bett seiner Box vor. Ich zog den Platz neben Frank im Bett allen anderen Möglichkeiten vor.
Ich fühlte mich wohl, wo ich war. Trotzdem lag ich wach. Obwohl ich weder an einer Reportage arbeitete noch selbst in die Sache verwickelt war, bekam ich die Ereignisse nicht aus dem Kopf. Ich hatte Sheila Dolson nicht gemocht. Sie war eine geltungssüchtige Schwindlerin gewesen. Doch das war kein Grund für einen Mord.
Ich musste daran denken, wie nahe ich ihrem Mörder gekommen war. Immer wieder sann ich darüber nach, ob mein Widerwille, aus Haileys Auto auszusteigen und durch den Regen zu trotten, Sheila Dolson das Leben gekostet hatte. Oder meines gerettet hatte.
Meine Unruhe weckte Frank. Er schien ohne ein Wort zu wissen, wo das Problem lag. Weder versuchte er mir meine Sorgen auszureden, noch forderte er mich auf, darüber zu reden. Er zog mich an sich und streichelte mir langsam den Rücken. Es wirkte so ähnlich auf mich, wie das Ohrenreiben auf Altair gewirkt hatte. Mein ganzer Körper entspannte sich. Irgendwann kurz vor Morgengrauen bekamen wir endlich ein bisschen Schlaf.
20. KAPITEL
DIENSTAG, 25. APRIL, 07:30 UHR HUNTINGTON BEACH
Großvater
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