Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
hatte, machte mich nachdenklich. Vielleicht war ihre Trennung doch nur vorübergehend.
»Es war ein brutaler Schock, es in der Zeitung zu lesen«, sagte sie geistesabwesend, offenbar noch ganz in dem Moment gefangen, in dem sie die Titelseite gesehen hatte. »Es war schlimm, auf diese Art zu erfahren, was passiert war.«
»Ich habe es selbst ebenfalls auf schlimme Art erfahren.«
Sie sah mich an und riss die Augen auf. »Tut mir leid – ist ja klar. Ich habe das nicht als Kritik gemeint. Klar, Ben dachte natürlich, du seist uns – ihm – einen Anruf schuldig, aber das ist Unsinn. Wahrscheinlich warst du völlig erledigt, als du endlich zu Hause warst.«
»Ja. Es war eine lange Nacht.«
»In dem Artikel hieß es, es hätte nicht nach einem Einbruch ausgesehen?«
Ich zögerte. Irgendetwas an ihrer Art kam mir leicht verschlagen vor. Vielleicht hatte ich aber auch nur ein bisschen das Vertrauen zu ihr verloren, seit sie Ben verlassen hatte. Auf jeden Fall fühlte ich mich unbehaglich. Da ich nicht wusste, wo das Gespräch hinführen sollte, gab ich ihr eine vorsichtige Antwort. »Nein. Zuerst dachte ich, wir wären vielleicht mitten in einen Einbruch hineingeplatzt, aber das schließt die Polizei wohl mittlerweile aus. Sheila hatte kaum Wertsachen, und der Hund hätte die meisten Einbrecher abgeschreckt.«
»Aber Altair war in seiner Box.«
»Das wollte ich dich ohnehin fragen – war er über Nacht immer in der Box? Es gab auch zwei Hundebetten im Haus.«
»Sie hat gesagt, dass sie ihn abends in die Box steckt. Ich war aber meistens tagsüber bei ihr, und da lief er frei herum. Sie hat mir auch erzählt, dass sie ihn tagsüber in die Box gesteckt hat, wenn sie ihn allein lassen musste, was aber nicht oft vorkam.«
»Warum hat sie ihn überhaupt eingesperrt?«
»Na ja … viele unternehmungslustige, intelligente Hunde langweilen sich mit der Zeit, wenn man sie zu lang allein lässt. Altair kann sich auf Arten vergnügen, die die meisten Menschen nicht besonders lustig finden.« Sie schmunzelte. »Sheila hat mir berichtet, dass er echtes Talent dafür hat, Küchenschränke und Kühlschranktüren aufzukriegen.«
Langsam fragte ich mich, ob ich zu Hause anrufen sollte.
»Außerdem hat sie die Box zum Transport benutzt«, fuhr Anna fort. »Oder bei Suchaktionen, an denen viele andere Hunde beteiligt waren.«
»Auf jeden Fall«, sagte ich, »konnte ein Einbrecher erst wissen, dass Altair in einer Box saß, wenn er schon im Haus war, oder? Die meisten würden das nicht riskieren.«
»Nein …«
»Hör mal, Anna, weißt du, ob Sheila hier in Las Piernas irgendwelche Feinde hatte?«
»Abgesehen von Ben?«
»Dass er kein blinder Anhänger von ihr war, macht ihn noch lange nicht zu ihrem Feind«, erwiderte ich streng.
»Nein, natürlich nicht. Du liebe Güte, ich will nicht andeuten, dass er ihr etwas angetan hätte. Das wäre ganz gegen Bens Natur. Aber sie hat ihn als Feind empfunden, glaube ich.«
»Schon möglich. Sonst noch jemand?«
»Nein, und obwohl ich oft mit ihr zusammen war, hat sie sich mir gegenüber nie darüber beklagt, dass irgendjemand wütend auf sie wäre.«
Ich ertappte mich bei der Frage, ob Sheila überhaupt imstande gewesen war, zu bemerken, dass jemand wütend auf sie war. Sie war mir immer völlig auf sich selbst bezogen erschienen. Selbst Altair diente ihr als Mittel, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Du hast gesagt, du warst oft mit ihr zusammen?«
»Na ja … ich will ihm keinen Vorwurf machen, aber Ben war in letzter Zeit ziemlich viel weg. Sheila war eine angenehme Gesellschaft.«
Das konnte ich mir kaum vorstellen. »Und worüber habt ihr euch unterhalten?«
Sie zögerte. »Ich glaube, sie hat vieles einfach erfunden, immer mit einem gewissen wahren Kern. Dein Artikel hat mich heute dazu gezwungen, das einzusehen. Sie ist nie verheiratet gewesen, also war ihre Mutter die misshandelte Frau, nicht sie selbst. Und die Geschichte darüber, dass sie ihr Haus bei einem Brand verloren hätte – das war der Tod ihrer Mutter. Ich glaube auch nicht, dass sie je ein Kind gehabt und verloren hat – aber vielleicht hat sie sich gefühlt, als wäre sie selbst dieses verlorene Kind.« Sie hielt inne. »Bei der Obduktion kommt ja wahrscheinlich heraus, ob sie Krebs hatte oder nicht.«
»Lass mich raten. Sie hat Geschichten erzählt, und du hast fasziniert gelauscht.«
»Sie hat uns wirklich alle an der Nase herumgeführt.«
Vermutlich war ich nicht als Erste darauf
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