Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
könnten eine Weile warten, ehe wir es offiziell bekanntgeben, bis niemand mehr nach ihr sucht. Oder ihr zu einer neuen Identität verhelfen.«
»Und du glaubst, das würde es den Kindern leichter machen? Zu wissen, dass sie sie absichtlich verlassen hat? Sie gelegentlich zu sehen und zuzulassen, dass sie ihr Denken beeinflusst? Dass sie sie wieder und wieder verlässt, jedes Mal, wenn ein Besuch endet? Dass sie sie von unserer Familie entfremdet?«
»Vielleicht kommt es ja nicht so«, wandte Roy ein und senkte den Blick.
»Du hast jahrelang versucht, sie zu retten, stimmt’s, Roy?«, sagte Dex.
Roy sah zu ihm auf.
»Du hast sie vor dem miesen Abschaum gerettet, mit dem sie zusammen war, als du sie kennengelernt hast«, sagte Dex. »Du hast ihr geholfen, von Alkohol und Drogen loszukommen. Du wolltest Kinder, aber sie war inzwischen unfruchtbar geworden. Du warst bereit, Kinder zu adoptieren, doch zuerst musste sie ihr eigenes Kind haben. Du hast dein ganzes Leben geändert, damit sie wieder mit Carrie zusammenleben konnte.«
»Ja«, sagte Roy und sprach erst nach kurzer Unterbrechung weiter. »Ich sehe ihre Fehler durchaus. Sie kann … schwierig sein. Wahrscheinlich habe ich auch … habe ich mir auch deshalb einen Seitensprung erlaubt. Aber ich wollte nie, dass es so weit kommt.«
»Es ist nicht deine Schuld, Roy«, versicherte ihm Dex. »Sondern ihre. Sie war ebenso zu einem Seitensprung bereit wie du, aber du willst nicht deine Kinder verlassen und nebenbei noch die Familie erpressen.«
»Nein. Aber es muss doch einen anderen Weg geben, um die Angelegenheit zu regeln.«
Giles wechselte einen raschen Blick mit Dex. »Es ist deine Entscheidung, Roy«, sagte er dann. »Aber ganz egal, wie du in puncto Victoria entscheidest, du musst die Kinder eine Zeitlang wegbringen.«
»Wegen der Reporterin.«
»Ja.« Giles sah erneut Dex an. »Erzähl ihm von Ms. Kelly.«
»Wie du weißt, war ich … einen Teil des Tages beschäftigt«, sagte Dex. »Genau wie am Wochenende.«
Roy zuckte zusammen.
»Später«, fuhr Dex fort, »bat mich Giles, in Erfahrung zu bringen, woran Ms. Kelly gerade arbeitet, aber das ist nicht so leicht, wie es aussieht. Zeitungen haben immer Angst, dass jemand anders eine Neuigkeit früher veröffentlicht als sie selbst oder ihnen eine Story abjagt, daher spricht niemand darüber, woran er oder sie gerade arbeitet. Ich habe in Ms. Kellys Redaktion angerufen, nur um zu hören, ob sie gerade da ist, weil ich mir überlegt habe, ihr vom Express aus zu folgen, wenn sie geht. Doch in der Ansage auf ihrer Mailbox hieß es, sie sei den ganzen Tag nicht im Büro.«
»Und?«
»Wie du weißt, hat sie kürzlich einen Artikel über vermisste Kinder verfasst. Sie hat mit deiner Frau zusammengearbeitet – als deine Frau noch Bonnie Creci hieß – und könnte womöglich erkennen, dass Victoria Fletcher und Bonnie Creci ein und dieselbe Person sind. Ms. Kelly war vor Ort, als die Polizei die sterblichen Überreste des leiblichen Vaters von deinem Sohn Aaron ausgegraben hat – des Mannes, der Aaron im Zuge eines Sorgerechtsstreits angeblich vor zwei Jahren entführt haben soll. Sie ist unmittelbar nach Sheilas Tod bei Sheila eingetroffen. Binnen weniger Stunden hatte sie eine Menge über Sheilas Vorgeschichte ausgegraben. Caleb, der sie bis letzte Woche offenbar nicht einmal kannte, hat inzwischen zweimal hintereinander bei ihr zu Abend gegessen. Ihr Mann hat Ben Sheridan darauf aufmerksam gemacht, dass Anna Stover eine Cousine von uns ist. Muss ich noch weitere Gründe anführen, warum wir gerne wüssten, was sie zurzeit so treibt und warum sie eine Bedrohung für deine Familie sein könnte?«
»Nein«, antwortete Roy. »Nein.« Erneut stützte er den Kopf in die Hände. Als wollte er den Boden befragen, murmelte er: »Und wo war sie nun heute?«
»Das wissen wir nicht«, sagte Giles. »Dex ist ihr heute Nachmittag eine kurze Zeit gefolgt, vom Polizeipräsidium aus, aber man hat ihn fast sofort entdeckt. Ihr Mann ist Ermittler bei der Mordkommission, wie du weißt.«
»Ja.«
»Hast du deine Kunden verständigt?«, wollte Dex wissen.
»Ja«, sagte Roy mit ausdrucksloser Stimme. Geschlagen, dachte Giles. Er gibt nach.
»Und?«, fragte Dex.
»Mindestens drei Wochen lang erwartet mich niemand zurück.«
»Gut«, sagte Giles. »Und du weißt noch, was du morgen zu tun hast?«
Roy richtete sich auf. »Du bist doch meiner Meinung, oder?«
»Wie meinst du das?«
»Bezüglich der Scheidung.
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