Bluttaufe: Thriller
kam den Berechnungen nach eine siamesische Zwillingsgeburt. Die Verwachsungen konnten alle Körperbereiche betreffen. Die Köpfe waren in weniger als zwei Prozent der Fälle verbunden. Kraniopagus hieß diese Missbildung, die in der Zeitschrift mit zahlreichen Fotos dokumentiert wurde.
Unterschieden wurde in dieser Kategorie zwischen den einzelnen Körpern mit zwei Köpfen oder den am Kopf zusammengewachsenen Zwillingen, deren Gesichter in zwei verschiedene Richtungen blickten.
Die neueste Zeitschrift verwies auf ein indisches Mädchen, das von seinen Eltern nach der hinduistischen Göttin Lakshmi benannt wurde. Dieses Kind hatte, wie das Bildnis der Göttin, mehrere Arme und Beine. Von der Bevölkerung des Distriktes wurde es gar als Gottheit verehrt, der man einen Tempel bauen wollte.
Auch Zwillinge mit zwei Gesichtern kamen vor.
Im vorletzten Jahrhundert noch auf Jahrmärkten ausgestellt, spielten siamesische Zwillinge später in Filmen mit und führten oft ein relativ normales Leben mit Ehepartnern, Kindern, musikalischer und selbst sportlicher Betätigung.
Erschreckend empfand Hensen die Details über parasitäre Zwillinge, die teilweise von dem lebenden Zwilling völlig umschlossen waren und quasi im Körper weiter existierten.
Nach Aussagen einiger Mediziner war bei 71 Prozent aller schwangeren Frauen vor der zehnten Woche im Ultraschall ein Zwilling zu erkennen, der allerdings im letzten Drittel der Schwangerschaft verschwunden war.
Geborene parasitäre Zwillinge, bei denen sich eineiige Zwillinge bildeten, von denen einer dann seine Entwicklung einstellte, kamen nur einmal bei 2,5 Millionen Geburten vor.
Es gab Beispiele von Menschen, die mehrere Geschlechtsorgane besaßen. Auch von verschiedenen Blutgruppen in nur einem Menschen wurde berichtet. Dieses galt nach Lehrmeinung als Hinweis darauf, dass im Körper ein weiterer Blutkreislauf zirkulierte.
Hensen fand einen Artikel, in dem es um Trennungen im Schädelbereich ging. Die kamen selten vor und galten auch unter Medizinern als spektakulär. Oft berichteten die
Medien davon, denn in ärmeren Ländern war eine solch teure Operation von vielen betroffenen Familien nur zu bezahlen, wenn sie Geld durch Medienberichte erhielten.
Auf 100.000 Zwillingspaare kam die Geburt eines siamesischen Zwillings. In den USA erblickten jährlich 50 siamesische Zwillinge das Licht der Welt, von denen aber nur zwölf die ersten 24 Stunden überlebten.
Bedingung einer Trennung allerdings war, dass beide Zwillinge alle lebensnotwendigen Organe besaßen. Alle stoffwechsel- und sonstigen lebensnotwendigen Prozesse durften nicht zu kompliziert verflochten sein, wie es etwa bei gemeinsamen Nerven- oder Blutbahnen der Fall war.
Gar nicht so selten trägt das weiterentwickelte Kind später seinen Zwilling im oder am Körper.
Hinweise, dass es nach der Trennung von Zwillingen zur Entwicklung von Savant-Fähigkeiten gekommen war, fand Hensen ebenso wenig wie Material über Operationen von siamesischen Zwillingen.
Stimmte seine These, so müsste sich eine Spur finden lassen.
Hensen stieß auf den Namen eines Professors, der als Chirurg an Trennungen mitgewirkt hatte.
Die Ausgabe der Zeitschrift stammte aus den 1980er Jahren. Er notierte sich den Namen des Mediziners und verließ das Archiv.
Er dachte daran, dass zahlreiche Menschen immer wieder von dem Gefühl berichteten, nicht allein zu sein. Vielleicht hatten sie Recht.
»Die Suche nach Kaja Winterstein hat oberste Priorität«, sagte Mangold in die Runde. Hier im Konferenzraum liefen
die Fäden der Sonderkommission zusammen, und alle Kollegen, die aus Platzmangel nicht untergebracht werden konnten, kamen regelmäßig, um sich die neuesten Informationen geben zu lassen.
In den Zeitungen des nächsten Tages würden Bilder von der Psychologin erscheinen, die Bevölkerung würde um Mithilfe gebeten. Anrufe bei der Polizei, die die verschwundene Psychologin betrafen, liefen direkt in einen Nebenraum. Die dort arbeitenden Kollegen hatten die Anweisung, alle ernstzunehmenden Hinweise unverzüglich an Mangold oder Tannen zu melden.
Von Antonia Ahrens fehlte jede Spur. Fest stand: Bindeglied zwischen allen Opfern war ihre Diplomarbeit. Da sie mehrere Monate im Netz gestanden hatte, ging Mangold davon aus, dass der Täter sie heruntergeladen haben musste.
Die Agentur, die die Diplomarbeiten anbot, existierte inzwischen nicht mehr. Weil immer wieder Arbeiten benutzt wurden, um sie leicht umgeschrieben als eigene
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