Bluttaufe: Thriller
Mörders sein«, sagte Hensen.
»Bleibt nur die Frage, warum er uns in den Abgrund drängen will«, sagte Tannen.
»Die Lust am Spielen?«, erwiderte Hensen. »Mit vollem Einsatz und lebenden Menschen, die er opfert?«
Das Schlimmste war, dass sie sich auf dieses Spiel einlassen mussten, um ihn aufzuhalten, dachte Hensen. Kaja Winterstein hatte sicher Recht, wenn sie behauptete, dass
er nicht so einfach aufhören und von der Bildfläche verschwinden würde. Zudem bestand die Gefahr, dass er seinen mörderischen Taktschlag erhöhte.
»Sind wir mit dieser Bremer Partie tatsächlich auf der richtigen Spur?«, fragte Hensen.
»Wir haben nichts anderes. Das heißt, vielleicht meint er auch die Englische Eröffnung.«
Hensens Gesicht verfinsterte sich.
»Ist für diesen Mann etwas unkonkret. Bremer Partie ist deutlicher. Was sollten wir schon machen, wenn wir uns um den Begriff Englische Eröffnung kümmern? Nach England fahren? Trotzdem stochern wir im Nebel.«
Von seinen Artikelrecherchen wusste Hensen, dass sich das genaue Hinsehen lohnte. Und das Ernstnehmen. Auch seine Informanten hatten oft Angst gehabt, konkrete Hinweise zu geben und als Verräter dazustehen. In Darfur war er den nebulösen Hinweisen seines Informanten nachgegangen und in das kleine Dorf gefahren, das der ihm genannt hatte. Tatsächlich war er auf die noch nicht beseitigten Spuren des Massakers gestoßen, das arabische Reitermilizen kurz zuvor angerichtet hatten.
Hensen sah vor sich das Gesicht des Mädchens, das er für einen Zeitungsbericht interviewt und fotografiert hatte. Sie hatte ihm vertraut.
Und dann war die deutsche Zeitung mit dem Foto und dem Interview irgendwie in den Sudan gelangt. Der Geheimdienst hatte nicht lange gefackelt und sich mit Verhören aufgehalten. Anschließend hatten sie die Leiche des Mädchens vor seine Hoteltür gelegt. Den blutigen Kopf eingewickelt in die Zeitung.
»Wir sehen es uns an«, sagte Hensen.
»Um Himmels willen, was?«
Sie nahmen die jetzt am frühen Nachmittag wenig befahrene Autobahn. Selbst den Elbtunnel passierten sie zügig.
Eine Stunde später standen sie am Bremer Martinianleger. Hensen lud Tannen zu einem Kaffee ein und zog seinen Skizzenblock aus der Tasche.
»Sie haben keine konkrete Idee, die wir nachprüfen können?«, fragte Tannen.
»Spielen wir die Bremer Partie«, sagte Hensen.
»Ein Schachspiel? Jetzt?«
»Sehen wir, was passiert«, sagte Hensen und begann, einen kleinen Frachter zu zeichnen. »TREUE«, stand in abgeblätterten Buchstaben am Bug des Schiffes.
Über den Pier spazierten vereinzelte Touristen. Ein Pärchen blieb an der Weser stehen und fotografierte ein einlaufendes Passagierschiff. Sie winkten hinüber, doch Hensen konnte von seinem Platz aus nicht erkennen, ob an Bord jemand zurückwinkte.
Tannen kam mit einem Telefonbuch zurück.
»Sehen Sie doch mal unter M wie Mörder nach«, sagte Hensen.
Der Kriminalinspektor sah ihn verwirrt an und Hensen winkte ab.
»Was suchen Sie?«
»Ich wollte mal unter Schachcafés oder Schachklubs nachblättern.«
»Bremer Partie, vielleicht ist Werder Bremen gemeint, oder … wo überall spielt man Partien?«
»Golf, Poker, Billard …«
Hensen beugte sich wieder über seine Skizze.
»Sie sollten es mal mit dem Zeichnen probieren. Talent hab ich auch nicht, aber es beruhigt.«
»Danke«, sagte Tannen. »Als Polizist hat man wenig Zeit.«
Aus den Augenwinkeln sah Hensen zu Tannen hinüber. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass es ihm unangenehm war, hier in einem Café zu sitzen und über die Bremer Partie nachzudenken.
Obwohl Tannen nicht mehr in dem Alter war, erinnerte Mangolds Assistent Hensen an einen jungen Volontär, den er vor ein paar Jahren in die Geheimnisse der Zeitungsrecherche eingeweiht hatte. Dieser Tannen mit den strengen Augenbrauen sah ihm nicht nur ähnlich. Auch der nicht ausgesprochene Widerspruch, der ihm ins Gesicht geschrieben stand, kam ihm bekannt vor.
Dem jungen Journalisten hatte er damals zunächst einmal beibringen müssen, dass man Reportagen nicht am Schreibtisch erstellte. Das kam erst später. Zunächst hieß es hinsehen, anfassen, riechen, fragen, Gesichter studieren, O-Töne aufschnappen.
Sein damaliger Volontär gehörte zu der Generation, die glaubte, mit ein paar Informationen aus dem Internet eine packende Story schreiben zu können. Doch was dabei herauskam, war fad, ohne Herzblut, beliebig und nach dem zweiten Absatz sterbenslangweilig. Ohne
Weitere Kostenlose Bücher