Bluttaufe: Thriller
homosexuelle Neigungen zu verwandeln.
Nein, das ging ihr dann doch zu weit. Was war mit den narzisstischen Störungen, die die meisten Täter aufwiesen, und die auf eine Ablehnung des Kindes durch die Mutter in den ersten Lebensmonaten und -jahren hindeuteten? Was mit den Gewalt- und besonders den Missbrauchserfahrungen, die viele Täter in ihrer Kindheit erlebt hatten? Die als Fantasie in ihnen fortlebten und bei einigen die Umsetzung in die Realität forderten. Allerdings mit vertauschten Rollen.
Nein, sie hatte kein Mitleid mit diesen Tätern. Viele von ihnen, die sie in zahllosen Gesprächen in Anstalten und Gefängnissen kennen gelernt hatte, warnten ja sogar selbst davor, sie wieder auf die Menschheit loszulassen.
Seltsam, aber sie konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige von ihnen im Großen und Ganzen recht zufrieden mit ihrem Leben im Gefängnis waren. Alles wurde für sie organisiert, es gab regelmäßige Mahlzeiten und eben keine Versuchung, unkontrollierbare Gewaltfantasien auszuleben.
Sie blickte auf den Computerschirm. Tannen wollte wissen, ob sie sich vorstellen könne, dass der Täter sich als Opfer einer Genmanipulation fühlte. Sei es nun als Erkrankter durch den Verzehr von manipulierten Lebensmitteln oder durch eine künstliche Befruchtung.
»Die Auffindesituation, der Bildungsgrad des Täters, die Verunstaltungen an den Genitalien, die Samenspenden auf dem Bein von Carla Kanuk, die kannibalistischen Handlungen an Charles Annand - könnte das darauf hindeuten?«
»Gar nicht so schlecht«, flüsterte Kaja Winterstein. Nahm man diese Fakten zusammen, wurde ein Schuh draus. Doch eines störte gewaltig. Die Tatortsituation, die der Täter gestaltet hatte, war keineswegs ein Ausdruck seiner Persönlichkeit und seiner Perversität. Der Mann hatte nach einer Bedienungsanleitung gehandelt. Er hatte sich zwei berühmte Serienmörder herausgesucht und sie eins zu eins kopiert. Zumindest soweit die Fakten über die Tatorte von Bundy und Dahmer im Internet in Erfahrung zu bringen waren.
In diesem Augenblick klingelte ihr Handy. Die Melodie »Der Kommissar geht um« signalisierte ihr, dass Mangold anrief.
»Ich wollte Sie nur informieren«, sagte Mangold. »Gerade ist das fehlende Detail eingetroffen.«
»Sie meinen das Foto, das auch Dahmer von sich und seinem Leichenschmaus an die Polizei und die Medien geschickt hat?«
»Ganz genau, aber es ist kein Polaroid.«
»Erstaunlich. Er macht es spannend.«
»Und es zeigt auch nicht das Opfer.«
»Was ist es? Eine Tiefkühltruhe oder eine dunkle Flüssigkeit? Eine kleine Variante?«
»Eine große Variante«, sagte Mangold. »Er hat mir auf das Handy Leonardo da Vincis ›Letztes Abendmahl‹ geschickt. Und er hat Maria Magdalena oder den Apostel Johannes, ganz nach Auslegung, … er hat ihn ausgekreuzt.«
»Der Mann hat sich zu oft den ›Da Vinci-Code‹ angesehen«, sagte sie.
Mangold am anderen Ende der Leitung brummte zustimmend.
Kaja Winterstein gab sich betont fröhlich.
»Er wird uns weiter durch den Wald jagen. Warum nicht mit esoterischen Anspielungen? Vielleicht vermutet er ja auch eine Weltverschwörung des Vatikans und Sie sind in seinen Augen so etwas wie ein Handlanger der Kirche.«
»Suchen Sie weiter den roten Faden«, sagte Mangold. »Diese persönliche Handschrift, sie muss zu finden sein. Wollen Sie noch mal mit der Pathologin reden? Oder den Kriminaltechnikern? Es gibt Hunderte von Tatortfotos, wir müssen etwas finden, das ganz original von ihm stammt. Etwas, in dem er sich widerspiegelt.«
»Schon klar«, sagte Kaja Winterstein. »Schicken Sie mir das bearbeitete Bild. Vielleicht fällt mir etwas zu dem Abendmahl ein. Sie sagten, das Bild vom Jünger mit den langen Haaren an seiner Seite ist ausgekreuzt?«
»Ja, ein gerades Kreuz, eben wie ein Kruzifix und mit zwei groben Strichen, als sei er mit einem Kugelschreiber und in großer Wut drübergegangen.«
»Er spielt«, sagte Kaja Winterstein.
»Sind Sie mit dem Täterprofil weitergekommen?«
»Er entzieht sich allen Rastern, nur kann er eben nicht
verbergen, dass er mordet. Vielleicht sucht er in den Massenmördern auch eine Identität. Wenn es tatsächlich ein Savant ist, dann können wir in 80 Prozent der Fälle von einer massiven Persönlichkeitsstörung ausgehen. Die meisten von ihnen sind nicht in der Lage, normale Gefühle zu entwickeln, geschweige denn ein eigenes Leben zu führen.«
»Er lädt sich mit Serienmörderpersönlichkeiten
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