Bluttaufe: Thriller
tun hatte. Da brauchst du gutes Werkzeug und Wissen.«
Hensen überkam ein Hustenanfall.
»Was ist los?«, sagte Mangold.
»Und die Zeitungen?«
»Das hätte ich fast vergessen. Die Zeitungen haben ihm einen Namen gegeben. Ein von einem Boulevardblatt bei Hagenbeck befragter Mann hat offenbar behauptet, dass ihm dort seit Tagen ein Mann in einem hellen weiten Trenchcoat, mit weiß gepudertem Gesicht und langen blonden Haaren aufgefallen sei. Die haben da kurz
mal einen Mörder draus gemacht und feiern sich, weil sie, im Gegensatz zur Polizei, angeblich eine heiße Spur hätten.«
»Und wie nennt die Zeitung ihn?«, fragte Hensen.
»Der Zeuge hat von einem porzellanähnlichen Gesicht gesprochen und dann gesagt: ›Der Kerl war weiß wie Schneeweißchen.‹«
»Ja, und?«, fragte Hensen.
»Was ›und‹? Schneeweißchen, sie nennen ihn Schneeweißchen.«
»Oh nein!«
»Drei Online-Magazine und private Radiosender ziehen mit. Die stehen auf so was.«
»Und die Täter auch«, sagte Hensen. »Das ist ein Markenlabel, das Größte, ein Ritterschlag. Schade, die Ehre gönne ich ihm wirklich nicht. Der Kerl hat einem Menschen bei lebendigem Leib den Schädel aufgebohrt und Salzsäure hineingegossen. Schneeweißchen!«
»Von den Verstümmelungen weiß die Öffentlichkeit noch nichts.«
»Hat sich der Zeuge bei euch gemeldet?«
»Bis jetzt nicht. Wir haben den Reporter befragt. Der schwört, nichts hinzugedichtet zu haben. Der Mann hätte sich als Hagenbeckbesucher mit Dauerkarte vorgestellt und sei älter gewesen. Der wird sich sicher auch bei uns wichtig machen wollen. Ich glaube nicht, dass unser Killer sich da tagelang in einem auffälligen Outfit herumgetrieben hat. Wir gehen dem nach, aber es ist Zeitverschwendung. Wir untersuchen die Gebissstruktur jetzt auf eine zahntechnische Handschrift«, sagte Mangold.
»Das wäre das erste Mal, dass er wirklich etwas von sich
preisgibt. Ich wette, dass er uns weiter an der Nase herumführt«, sagte Hensen.
Mangold fragte ihn, ob er in einer halben Stunde zu einer Besprechung im Präsidium sein könnte.
»Tut mir leid, ich bin in Bremen.«
»Du bist wo?«
»Ich habe mir Tannen ausgeliehen und mit ihm eine kleine Spritztour veranstaltet. Ein schöner Tag, was, Tannen? Nein, im Ernst, wir müssen dringend herausfinden, was es mit dieser ›Bremer Eröffnung‹ auf sich hat. Bringen wir das nicht in Erfahrung, verlieren wir den Anschluss. So wie ich den Mann einschätze, überschüttet der uns mit einem Berg von Leichen, um uns seine göttliche Macht zu demonstrieren.«
Mangold räusperte sich.
»Genie hin, Genie her, der Mann kocht auch nur mit Wasser. Jeder macht Fehler.«
»Bis jetzt spielt er uns Fehler nur vor.«
Plötzlich sah Hensen es. Direkt auf seinem Skizzenblock. Während des Telefonats hatte er eine Werbefahne auf das Stück Papier gezeichnet. Nach einer Vorlage, die nur zwanzig Meter vor ihm auf dem Wasser zu sehen war.
»Bist du noch da?«, fragte Mangold. »Was ist los?«
»Ich muss jetzt weg«, sagte Hensen. »Sofort. Ich melde mich.«
»Warte, ich hab dir ein Bild vom Abendmahl …«
»Ich melde mich.« Er drückte den Knopf und zerrte am Jackett des überraschten Assistenten.
»Was …?«
»Sehen Sie die Fahne da drüben?«
Tannen kniff die Augen zusammen. Dann entspannten
sich seine Gesichtszüge und er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Das sehen wir uns an.«
Sie waren keinen entscheidenden Schritt weitergekommen. Kaja Winterstein blickte auf die Chartbögen, die Mangold an der Pinwand befestigt hatte.
Der Unbekannte vereinnahmte sie. Einerseits waren da die grauenhaft zugerichteten Leichen und andererseits hatte der Täter kein Gesicht. Noch konnte er ganz unterschiedliche Masken anlegen. Für sie pendelte sein Aussehen zwischen den Gesichtsausdrücken verschiedener Serienmörder, die sie während ihrer Interviews mit einer Videokamera aufgenommen hatte.
Nicht immer gelang es, aber bei fünf Tätern war im Laufe des Gesprächs für Sekunden der einsichtige Gesichtsausdruck verschwunden. Dieser Ausdruck, mit dem sie zu sagen schienen, ja, ich habe Schlimmes getan, aber jetzt verstehe ich. Bei fünf der Verurteilten leuchtete für ein paar Sekunden ein Lächeln auf, das zu sagen schien: Ja, ich habe es getan und dabei etwas empfunden, was du niemals empfinden wirst. Es war ein Lächeln, das pure Macht ausdrückte. Auch wenn es in den Gesprächsräumen der Gefängnisse nur eine wiedererwachte Erinnerung an die Herrschaft
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