Bluttaufe: Thriller
sollten nicht mit ihm in der Babysprache reden. Er mag das nicht, und wenn er wütend wird … na ja, dann hat er Schwierigkeiten, seine Körperöffnungen zu kontrollieren.«
»Schon klar«, sagte Weitz und sah Mangold mit zusammengepressten Lippen an.
Sienhaupt tippte auf die Taste für den CD-Auswurfschacht. Der Schlitten fuhr heraus und Sienhaupt drückte ihn wieder zurück. Dann wiederholte er diese Prozedur eine geschlagene halbe Stunde lang.
»Daran gewöhnt man sich?«, fragte Weitz.
Sienhaupt blickte auf und versuchte, Weitz von hinten zu umarmen.
»Peter, du siehst doch, dass Herr Weitz fahren muss«, sagte Ellen Sienhaupt.
Der Savant wandte sich wieder dem CD-Auswurfschlitz zu, schien aber plötzlich das Interesse daran verloren zu haben.
Mangold hörte plötzlich das Surren des Gebläses. Sienhaupt fuhr den Rechner hoch und beobachtete die Abfolge
der Ziffern, die beim Booten auf dem Bildschirm erschienen.
Mangold drehte sich vom Beifahrersitz zu Ellen Sienhaupt, die neben ihrem Bruder saß.
»Sie sind sicher, dass Sie das wollen?«
Sie nickte, während ihr Bruder die Tasten ausprobierte.
»Jetzt ist er für die nächste Zeit beschäftigt«, sagte Ellen Sienhaupt. Mangold dachte erleichtert daran, dass er alle wichtigen Daten auf seinem USB-Stick gespeichert hatte.
»Scheint ihm Spaß zu machen.«
»Hab ich befürchtet«, sagte Ellen Sienhaupt. »Eine Kiste mit ungeahnten Möglichkeiten. Ein ganz großes Spielzeug.«
Weitz grinste, als er im Rückspiegel sah, wie Sienhaupt immer wieder eine Taste drückte und beobachtete, was auf dem Bildschirm passierte.
»Wird er denn überhaupt mitmachen?«, fragte Mangold, der immer noch nicht die blasseste Ahnung hatte, wie das eigentlich vor sich gehen sollte.
»Schlecht zu sagen, für manche Dinge begeistert er sich, für andere nicht.«
»Wie lange hat er denn schon diese Krankheit?«, fragte Weitz.
»Eine Krankheit ist das nicht«, sagte Ellen Sienhaupt. »Eher eine Begabung. Er ist anders, ganz anders als andere Menschen.«
Die Ärzte vermuteten, dass bei ihm eine Hirnschädigung während der Geburtsphase entstanden sei. Sicher seien sie aber nicht.
»Er hat nie richtig gesprochen, sondern sich immer durch Zettel mitgeteilt.« Die Kinderärzte hätten von Autismus gesprochen, aber der ganze Zirkus sei erst losgegangen,
als Peter ein Mathematikbuch in die Finger bekommen hätte.
»Wenn ein Junge im Erstklässleralter die Zahl Pi berechnet, dann fällt das schon auf.«
Die Wissenschaftler hätten zahlreiche Untersuchungen durchgeführt und auch heute nehme Peter noch an Studien teil.
»Verstehen Sie das nicht falsch, aber es gibt auch mal Wutausbrüche, bei denen etwas zu Bruch geht.«
Ellen Sienhaupt lachte.
»Er ist ein Mensch«, sagte sie. »Kein seelenloser Zombie.«
Man müsse sich da einfühlen. Laute Geräusche machten ihm Angst, und manchmal auch eine Umgebung, die er nicht gestalten könne. Er baue immer alles um. Na ja, Peter interessiere sich eben für alle möglichen Dinge.
»Hat er eigentlich Kontakt zu anderen Savants oder Autisten?«, fragte Mangold.
»Wie soll das gehen? Andererseits verheimlicht mir Peter eine ganze Menge. Und für Überraschungen ist er jederzeit gut.«
Plötzlich begann Peter Sienhaupt zu schreien und stieß das Notebook von sich.
»Soll ich anhalten?«, fragte Weitz.
Ellen Sienhaupt legte ihre Hand auf den Hinterkopf ihres Bruders und blickte auf den Bildschirm.
»Das passiert auch, wenn er an Studien teilnimmt. Er mag das einfach nicht.«
»Computer, er mag keine Computer?«
»Diesen Befehlsschritt, bei dem man zwischen ›Ja‹, ›Nein‹ und ›Abbrechen‹ wählen kann. Er hasst es. Es passt nicht in seine Welt.«
Peter Sienhaupt zog das Notebook wieder zu sich heran und begann, Zahlenfolgen einzugeben.
Der Rest der Fahrt verlief schweigsam. Ellen Sienhaupt genoss es, die vorbeiziehende Landschaft zu betrachten, und ihr Bruder war nun völlig in den Computer und seine Geheimnisse versunken.
Als sie in der Tiefgarage des Polizeipräsidiums aussteigen wollten, verweigerte Sienhaupt die Herausgabe des Computers.
»Das hab ich befürchtet«, sagte Ellen Sienhaupt. »Geben Sie mir etwas Zeit, ich werde nachher mit ihm reden.«
»Nein, nein«, sagte Mangold. »Er kann ihn zunächst behalten. Vielleicht bekommt er Lust auf unser Spiel.«
Mangold beugte sich zu Ellen Sienhaupt.
»Könnten Sie sich vorstellen, dass jemand mit einem Savant-Syndrom, also dass er sehr schlimme Dinge
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