Bluttaufe: Thriller
anonym über das Internet in die Wege leiten, da braucht bei denen nur die Kasse zu klingeln, und schon geht der Saft in einer Spezial-Kühlpackung und mit einem Spezial-Boten auf die Reise.«
»Wohin, verflucht noch mal? Wohin? Die müssen eine Adresse haben. Das wird schließlich nicht postlagernd verschickt.«
»War ein Fake.«
»Ein Fake?«
»Kaja Winterstein, es ging an die Psychotante. Tannen, der Typ wird es abgefangen haben. Hat sich einen Witz gemacht, will sich über uns totlachen, das ist alles.«
Mangold sah Sienhaupt über die Schulter. Der löste sich für zwei Sekunden von dem Geschehen in seinem Notebook und blinzelte ihn an. Dann zeigte er ihm einen Film auf Youtube, in dem mit LED-Lampen bestückte Schafe über ein Feld gejagt wurden. Getrieben von den Hunden versammelten sich die Schafe in verschiedenen Gruppen, die, aus der Luft betrachtet, geometrische Formen annahmen.
Immer wieder spielte Sienhaupt eine Sequenz dieses Films ab und überreichte Mangold einen seiner Zettel. Er enthielt eine Formel, die offenbar mit der Verteilung der Schafe zu tun hatte. Oben hatte er fünf Hunde gemalt und ihre Laufrichtung. Worauf diese Formel hinauslief, konnte Mangold beim besten Willen nicht deuten. Sienhaupt sah ihn verzweifelt an, dann tippte er einen Befehl in die Tastatur, und das Wikipedia-Fenster zum Stichwort »Chaosforschung« erschien.
Unbemerkt hatte sich Tannen hinter sie gestellt und räusperte sich.
»Weitz hat …«
»Können Sie sich darauf einen Reim machen? Ich meine, was haben diese Schafe mit unseren Ermittlungen zu tun, und wer zum Teufel hängt Schafen Gürtel mit LED-Leuchten um den Körper?«
»Angst«, sagte Tannen. »Sollte es eine Formel über die Verteilung einer in Panik geratenen Menge geben … na, man wüsste, wo die Fluchtwege sein müssten. Sicher
nicht uninteressant für den Stadionbau oder Polizeisperren.«
Mangold blickte erstaunt auf.
Eine kurze Meldung erschien auf Sienhaupts Bildschirm. Kryptische Zeichen, die Sienhaupt in die Maske eines Programms kopierte. Nach zwei Sekunden wurde er erneut auf das Portal von Youtube weitergeleitet.
»Was soll das?«, fragte Mangold.
Tannen sagte nichts, sondern blickte gebannt auf den Schirm.
Sienhaupt startete den Film. Die ersten Bilder waren verwackelt, dann sah man, dass derjenige, der die Kamera hielt, durch eine schmale Gasse spazierte. Links vom Kameramann waren die Auslagen kleiner Touristengeschäfte zu sehen, und dann zoomte die Kamera auf die Tücher über der Gasse. Biblische, ikonenhafte Darstellungen. Die Kamera blieb auf einer Darstellung des Schöpfungsaktes stehen, die stümperhaft von Michelangelos »Die Erschaffung Adams« abgemalt worden war.
»Gottes Zeigefinger löst sich von dem Adams«, sagte Mangold.
»Auf dem Tuch sind griechische Schriftzeichen«, sagte Tannen. »Diese Gasse könnte sich in der Burganlage befinden, in der die Hand gefunden wurde und in der Hensen herumgeistert.«
Mangold notierte sich die Adresszeile. Er wollte Sienhaupt jetzt nicht unterbrechen, sondern sich den Film in Ruhe auf seinem Rechner ansehen.
Hic Rhodos hic salta, hatte die Stimme gesagt.
»Tannen, Sienhaupt landet auf keinen Fall durch Zufall
bei einem Youtube-Film über Rhodos. Er hat keine Ahnung, dass jemand von uns da unten ist.«
»Aber er hat den Hinweis auf Rhodos entschlüsselt«, sagte Tannen. »Sucht jetzt vielleicht im Netz weitere Informationen?«
Auf seinem Computer spielte Mangold den Film noch einmal ab. Der Nutzer, der ihn ins Netz gestellt hatte, nannte sich »Him0908012«.
Der Streifen endete ebenso verwackelt, wie er begonnen hatte. Auffällig, dass die Kamera so lange bei der Kopie der Michelangelo-Darstellung von der Erschaffung Adams stehengeblieben war.
Beim vierten Durchgang schrie Tannen plötzlich: »Stopp!
Können Sie den Regler etwas zurückschieben bis zur Stelle … genau, er senkt die Kamera von der Michelangelo-Darstellung und stopp … sehen Sie das? Da, in der bröckeligen Mauer … die Hand! Sie winkt.«
Mangold tippte Hensens Nummer in sein Handy.
»Chef, da ist noch was …«, sagte Tannen, doch Mangold unterbrach ihn, indem er kurz die Hand hob.
»Komme gerade aus der Gerichtsmedizin«, sagte Hensen. »Die Tote ist nicht Leonie. Damit ist nicht gesagt, dass sie noch lebt, aber diese Tote ist zweifellos gut fünfzehn Jahre älter.«
Mangold ließ sich auf seinen Stuhl fallen.
»Gott sei Dank«, sagte er und noch einmal »Gott sei Dank.«
Hensen
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