Bluttaufe: Thriller
Reihe von Stromstößen zusammenzucken. Seine Augen waren starr nach vorn gerichtet, die Augenlider schlugen wie Flügel eines Schmetterlings, der ins Wasser gefallen war und versuchte, sich zu befreien.
»Ich kann das nicht verantworten, ich muss …«
»Nein«, sagte Kaja, »er ist unser Weg zu Leonie. Er ist …«
Mangold riss die Kabel aus dem Computer. Sienhaupt nahm das Gerät und auch seine Umgebung schon nicht mehr wahr. Er schwankte weiter in Krämpfen auf seinem Sessel hin und her. Plötzlich stürzte Ellen Sienhaupt in den Konferenzraum und rannte auf ihren Bruder zu.
»Peter! Peter, was ist?«
Sie legte ihre Arme um den Savant. So wie eine Mutter, die ihr Kind tröstet und gleichzeitig vor der feindlichen Umgebung abschottet.
»Peter«, sagte sie. »Peter, es ist gut, es ist alles gut.«
Sienhaupt versuchte sich zu befreien und streckte seine Arme Mangold entgegen. Dann sagte er: »Leenniie, Leeniie.«
Die Vorbereitungen waren so gut wie abgeschlossen. Es war so einfach.
Er musste ihm unbedingt die Neuigkeiten erzählen. Sobald er wieder da war.
Er konnte es kaum erwarten, ihm in die Augen zu sehen. In Augen, die er nie zuvor gesehen hatte. Jahrelang waren sie hinter ihm gewesen, aber sie hatten sich immer alles erzählt. Bis in alle Einzelheiten.
Und dann hatte er ihn mitsehen lassen. In diese Welt, die so verwirrend war. Er konnte sich noch genau an sein Gesicht erinnern. Warum wollte er die Augen nicht öffnen?
Er würde sich dicht, ganz dicht an ihn legen. Und sicher würde er ihm von seinen Reisen erzählen, zu denen er immer wieder aufbrach, ohne sich zu verabschieden.
Und er? Er würde von seiner Angst sprechen. Seiner Angst, allein zu sein. Hier allein zu bleiben. Zurückzubleiben.
Das war bald vorbei. Nie wieder würde er auf ihn warten müssen, nie wieder.
Er öffnete den Kühlschrank und zog die Flasche mit Apfelsaft heraus. Ja, Adam und Eva. Adam und Adam. Er lachte heiser. Wie einfach alles war, wenn man es nur verstand. Der Heilige Gral! Er hatte ihn gefunden, hatte ihn präpariert. Der Heilige Gral würde das Gefäß für ihn sein. Er war auf dem Weg zu ihm.
Und er würde ihm diese finstere Welt erklären, durch
die er irrte, wenn er allein war. Wenn nichts ihn aufhielt.
Er schenkte sich ein Glas Saft ein und leerte es in einem Zug.
Hoffentlich war er einverstanden mit seiner Wahl. Eigentlich konnte er jetzt abwarten, die Spielsteine auf dem Brett bewegten sich von allein.
Doch was war mit diesem Anderen, der aus der Dunkelheit aufgetaucht war? Der mit seiner grollenden Stimme zu ihm sprach. Der versucht hatte, ihn zu züchtigen. Er hatte ihm die Peitsche aus der Hand gerissen.
Er drehte sich um zum Kühlschrank, öffnete ihn und zog eine Plastiktüte heraus. Behutsam legte er sie auf den Tisch und öffnete sie mit Zeige- und Mittelfinger. Nur einen Spalt. Ja, er konnte sie riechen. Ihr Parfum, ihren Schweiß und ihre Angst. Er fuhr mit dem Zeigefinger sanft über den Stoff. Sie hatte das getragen. Es kam ihm vor, als fühlte er ihr Herz pulsieren. Ihr großes Herz. Auch er würde es bald hören.
Er näherte sich mit der Nase dem geöffneten Schlitz der Plastiktüte und sog den Duft tief ein.
Nein, das musste warten. Sorgfältig drückte er die Tüte wieder zusammen, faltete sie und legte sie zurück in den Kühlschrank.
Schon bald würde ein neuer Mond am Himmel stehen. Blutrot und geheimnisvoll, und dieser Mond würde sich drehen. Er würde ihm seine Rückseite preisgeben. Sein Licht in sein Gesicht werfen.
Er lächelte und klappte das Notebook auf. Schon seit Stunden hatte er den Kontakt verloren.
19.
Nachdem Mangold ihn gebeten hatte, noch nicht zurückzufliegen, wartete er auf weitere telefonische Anweisungen. Hensen sah, wie das Flugzeug, in dem er eigentlich nach Hamburg hätte zurückfliegen sollen, an Höhe gewann.
Vor dem Terminal luden Reisebusse ihre Fracht aus. Aufgeregt umringten Touristen ihre uniformierte Reiseleiterin. Die Frau stand mit eingefrorenem Lächeln am Ausstieg des Busses und deutete mit ausholenden Armbewegungen in Richtung der Tür zum Terminal Zwei.
Hensen schlenderte zu einem Kiosk und bestellte eine Flasche Wasser.
Reinigungskräfte schoben Wagen mit Schrubbern, Besen, Eimern und einer Batterie von Reinigungsmitteln vor sich her.
Hensen nahm seinen Skizzenblock heraus und zeichnete einen Mann, der gerade aus den Toilettenräumen kam und sich auf eine Bank setzte.
Hensens Handy signalisierte den Empfang einer SMS. Schon die
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