Bluttaufe: Thriller
aus den Augen.
»Ja und Nein. Fünfzig, fünfzig, da war alles vertreten. Die Affekttäter überkommt es, da wird nicht geplant oder ritualisiert. Die töten in einem Rauschzustand. Nicht wenige bereuen es, entschuldigen sich bei den Opfern, behandeln die Leichen respektvoll, decken die Gesichter zu und legen ihre Opfer in einer friedlichen Pose auf das Bett. Bei den Planenden, kalkulierenden Tätern ist es anders. Die Motive sind anders, die Handlungen werden gesteuert. Es geht darum, die Macht möglichst lange auszukosten, auch den Toten noch ihre Verachtung zu zeigen. Und ein geistiger Überflieger war nicht dabei.«
Kaja Winterstein tippte erneut die Wahlwiederholung. Als Leonies Mailbox ansprang, feuerte sie das Telefon auf Mangolds Tisch.
»Wir werden bei jedem Einzelnen nachsehen, ob er noch in seiner Zelle sitzt«, versicherte er.
Mangold sah zu Sienhaupt hinüber. Der Savant wirkte auf ihn, als würde er immer verbissener mit etwas im Computer ringen. Er wippte auf seinem Sessel aufgeregt hin und her, stieß seine Brille auf die Stirn, flatterte mit den Händen. Auch die Augen zuckten minutenlang im selben Rhythmus.
Es half nichts. Er musste ihn vom Internet und dem polizeilichen Intranet abkoppeln. Sollte sich allerdings Leonies Verschwinden tatsächlich als Entführung herausstellen, hatte er als Einziger Kontakt zum Entführer. Er war die Verbindungsstelle, die sie weiterbringen konnte. Andererseits konnte er erheblichen Schaden anrichten.
Während Kaja Winterstein sich aus der Küche einen Kaffee holte, las Mangold den gerichtsmedizinischen Befund des dritten Opfers. Auch bei dem Mord an Leonie Jahn fehlte die persönliche Handschrift des Täters. Eine Abweichung von den anderen Opfern gab es hinsichtlich der geschlossenen Lider.
Sollte Schneeweißchen beabsichtigen, dass er, Mangold, die Übersicht verlor, das Wichtige nicht mehr vom Unwichtigen trennen konnte - er war verdammt dicht dran.
Plötzlich gab Sienhaupt einen röchelnden Laut von sich, breitete die Arme aus und umarmte den Computer. Mangold trat auf ihn zu und Sienhaupt sagte: »Peter«, und noch einmal: »Peter.«
Was hätte Mangold darum gegeben, wenn Sienhaupts Schwester in der Nähe gewesen wäre. Doch die nutzte die Tatsache, dass ihr »Bruder in guten Händen war«, wie sie sich ausgedrückt hatte, für einen Einkaufsbummel.
Mangold blickte auf Sienhaupts Bildschirm. In der oberen linken Ecke lief ein Schachspiel, in einem anderen, kleineren Fenster rasten Zahlenkolonnen vorbei. Wirklich erstaunlich aber war eine geöffnete Seite, auf der vergangene und zukünftige Sternkonstellationen aufgerufen werden konnten. Verstand er das Ganze richtig, dann veränderte
Sienhaupt nicht nur die Zeit, sondern auch einige Umlaufbahnen, die ein völlig verändertes Bild des Sternenhimmels zur Folge hatten.
Plötzlich öffnete er ein Fenster, in dem er zu programmieren schien. Immer hektischer wurden seine Eingaben. Er raufte sich die Haare und biss sich auf die Fingerknöchel. Zwei Stellen der linken Hand hatte er bereits verletzt.
Auch seine Schaukelbewegungen wurden hektischer.
Gleich bekommt er einen epileptischen Anfall!, dachte Mangold und sah sich hilfesuchend um. Hektisch wählte er Ellen Sienhaupts Handynummer, doch die war nicht zu erreichen.
»Kaja, können Sie mal kommen? Schnell.«
Kaja Winterstein brauchte nur Sekunden, um sich von ihren Unterlagen zu lösen.
»Was hat das zu bedeuten?«
»Der Mann wird gleich hyperventilieren«, sagte sie.
»Soll ich es ausschalten?«
»Warten Sie noch«, sagte Kaja Winterstein. Sie zog eine Plastiktüte, raffte sie am Ende zusammen und hielt sie Sienhaupt vor den Mund.
»Er verliert zu viel Kohlenmonoxid«, sagte sie.
Sienhaupt nahm die Tüte vor seinem Mund nicht zur Kenntnis, sondern hämmerte weiter auf die Tastatur ein.
Plötzlich tauchte in blinkenden Lettern »Tarifa« auf seinem Schirm auf. Und dann bewegte sich von links nach rechts der Name »Leonie« über den Schirm.
Kaja Winterstein ließ die Plastiktüte sinken.
»Mein Gott«, sagte sie.
Dann ein neuer Text: »Leonie. Wartet. Ganz allein. Allein.«
»Nein«, schrie Kaja Winterstein.
Sienhaupt stieß ebenfalls einen Heullaut aus.
»Ich werde ihn jetzt abkoppeln«, sagte Mangold.
»Nein«, sagte Kaja. »Warten Sie. Einen Augenblick noch.«
Sienhaupts Hände hingen in der Luft und zitterten. Krämpfe durchschüttelten seinen Körper und es kam Mangold vor, als würde der Mann unter einer
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