Blutträume
diesen Mörder finden und stoppen wollen.«
Das war zwar eine unverblümte, aber willkommene Erinnerung. Seit Dani bei Haven war, hatte sie entdeckt, dass die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten in positiver Weise einzusetzen, allmählich ihre Ansichten über diese Fähigkeiten verändert hatte, und das wollte sie fortsetzen.
Musste es fortsetzen.
Vor allem jetzt.
Also trank sie ihren Kaffee aus und brach mit Paris zum Sheriffdepartment auf. Und erst als sie fast dort waren, überlegte sie plötzlich, warum Paris nicht ein einziges Mal die Frage gestellt hatte, die sie über Danis Visionstraum hätte stellen sollen.
Sie hatte nicht gefragt, wo sie war.
Weil sie die Antwort nicht wissen wollte?
Oder weil sie genau wie Dani befürchtete, die Antwort bereits zu kennen?
16
Hollis hatte nicht erwartet, Freitagnacht gut zu schlafen, weil der Tag zu lang und die vorherige Nacht ungewöhnlich aktiv gewesen war, wenn auch auf einer unterbewussten Ebene.
Ist schon amüsant, dachte sie. Dass etwas, das vermutlich nur ein kurzes Traumerlebnis gewesen war – weil diese Erlebnisse meisten kurz waren, auch wenn sie einem endlos vorkamen, während sie tatsächlich geschahen – einem körperlich so zusetzen konnte.
Aber ihr erschöpftes Selbst durch den ganzen Freitag zu schleppen, hatte das jedenfalls bewiesen. Außerdem hatte es Hollis überzeugt, sich bei Bishop zu melden, bevor sie sich bettfertig machte. Und, wichtiger noch, nichts zurückzuhalten.
»Du hast die Stimme auch gehört?«, fragte Bishop.
Hollis, die auf dem Bettrand in ihrem Motelzimmer saß und das Festnetztelefon benutzte, weil ihr Handy am Ladegerät hing, schaute stirnrunzelnd zum Eiskübel auf ihrem Nachttisch. »Ja, in gewisser Weise. Das war mehr ein Gefühl als ein Geräusch.«
»Was für ein Gefühl?«
»Druck«, erwiderte sie, nachdem sie darüber nachgedacht hatte. »Als würde mich etwas niederdrücken. Uns niederdrücken. Vermutlich Dani am stärksten, denn sie war diejenige, die mit Nasenbluten aufwachte. Oder lag das an der Anstrengung, Paris und mich mit hineinzunehmen?«
»Schwer für mich, das auch nur zu erraten«, erwiderte er bedächtig. »Ihre Fähigkeiten waren immer etwas unstet, soviel ich verstanden habe, aber Miranda hatte das Gefühl, Dani sei wesentlich stärker, als es den Anschein hat, selbst vor mehr als einem Jahr. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals von Nasenbluten die Rede war.«
»Laut Paris nicht. Allerdings macht mir diese Stimme wesentlich mehr Sorgen. Dani scheint überzeugt zu sein, dass es die Stimme – oder Gedanken, oder Energie, was auch immer – unseres Mörders ist. Und auch wenn sie nur wenig darüber geredet oder nicht viel von ihren Gefühlen gezeigt hat, glaube ich, dass sie verängstigt ist.«
»Sich bedroht fühlt?«
»Ja, vermutlich. Er hat ihr gesagt, sie könne nicht weglaufen oder sich verstecken, und niemand könne sie vor ihm beschützen. Und er hat es ihr in ihrem Kopf gesagt. Und nicht nur in ihren Träumen, sondern auch im wachen Zustand. Sich bedroht fühlt? Sie sollte vollkommen verängstigt sein. Ich weiß nicht, ob ich mich an ihrer Stelle nicht im Bett verkriechen und mir die Decke über den Kopf ziehen würde.«
Nach einem Augenblick fragte Bishop: »Und wie geht es dir? «
Hollis wollte ihm eine flapsige Antwort geben, hatte aber gelernt, wie sinnlos das bei Bishop war. Nur weil sie keine Telepathin war, hieß das nicht, dass er nicht in ihr lesen konnte, selbst über die weite Entfernung zwischen ihnen. Daher antwortete sie ehrlich.
»Ich bin müde und besorgt. Und obwohl ich froh darüber sein sollte, finde ich es nervig, dass mich die Toten anscheinend viel leichter erreichen können als zu Beginn.«
»Das ist doch gut«, munterte er sie auf.
»Es ist unheimlich. Ich glaube nicht, dass ich mich je daran gewöhnen werde, nur damit du Bescheid weißt.« Abrupt wechselte sie das Thema. »Hör zu, gibt es irgendwelche Fortschritte bei der Überarbeitung des Profils? Weil wir das nämlich weiß Gott brauchen könnten.«
»Du hast mir neue Informationen gegeben«, sagte Bishop. »Der Tatort von Mittwoch, plus das offene Stalking von Marie Goode, wenn wir annehmen, dass er es war …«
Hollis unterbrach ihn. »Glaub mir, das hier ist kaum die Art Stadt, in der mehr als ein Spinner herumschleicht und Fotos von Frauen macht. Das hieße den Begriff Zufall über Gebühr zu strapazieren.«
»Du vermutest, dass der Mörder Fotos von den Morden macht«, meinte Bishop
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