Blutträume
Templeton. Selbst wenn wir eine Ahnung hätten, wer dieser üble Mörder ist – und ich versichere Ihnen, die haben wir nicht –, würden wir uns nie anheischig machen, ihn zu jagen, geschweige denn zu bestrafen. Das ist Sache der Polizei, der Gerichte, und Gottes.«
Was für eine nette kleine Rede. Dani fragte sich, warum sie ihm nicht glaubte.
Weil sie zynisch war, vermutlich.
Oder es lag an etwas anderem.
Sie versuchte sich auf das mögliche andere zu konzentrieren, hörte nur verschwommen, wie Marc dem Reverend noch ein paar Routinefragen darüber stellte, ob er in den letzten paar Wochen etwas Verdächtiges gesehen oder gehört hätte. Stattdessen merkte sie, dass sie wider besseres Wissen erneut nach der Stimme horchte.
Seiner Stimme.
Denn mit jeder vergehenden Sekunde wurde ihr unbehaglicher und beklommener. Sie verspürte den Drang, über die Schulter zu schauen, hinter sich, doch als sie es tat, sah sie nichts als die Landschaft, die sie kannte.
Was fühlte sie?
Was spürte sie?
Ihre Nackenhaare stellten sich auf, ihre Hände wurden kalt, und in ihrer Magengrube bildete sich bleierne Übelkeit. Doch als sie zu Butler schaute, auf ihre Umgebung, schien nichts davon für ihr Gefühl verantwortlich zu sein.
Der Donner grollte jetzt lauter, rollte ringsum, wie er es in den Bergen tut, und kreiste sie ein. Lag es daran? Konnte das sein? Sie hatte nie besonders stark auf Gewitter reagiert, wie viele andere Paragnosten, bis hin zu schwerem Unbehagen, aber für gewöhnlich beeinflussten – steigerten, verstärkten? – Gewitter ihre normalen Sinne.
Also lag es vielleicht daran. Trotzdem merkte sie, dass sie auf etwas außerhalb ihrer normalen Sinne lauschte und wusste ehrlich nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte, nicht den kleinsten Hinweis oder das Echo des Flüsterns zu hören, das sie so ängstigte.
»Dani?«
Sie blinzelte Marc an und raffte ihre Gedanken zusammen, als sie wahrnahm, dass der Reverend sich bereits seiner Kirche zugewandt hatte und Marc und Hollis sie mit gehobenen Brauen anschauten.
»Entschuldigt.« Dani setzte sich auf den Beifahrersitz von Marcs Polizeiwagen und hoffte, ihr sei nichts Wichtiges entgangen.
»Alles in Ordnung?«, fragte er sie.
»Bestens. War nur mit den Gedanken woanders.« Immer noch horchte sie nach der Stimme, erkannte aber gleichzeitig, dass ihr die körperlichen Gefühle sehr vertraut waren.
Druck.
Wie beim Traumwandeln.
Konnte das an dem schnell näher kommenden Gewitter liegen?
Verstohlen griff sie an ihre Nase, ein wenig erstaunt, dort kein Blut zu finden. Denn der Druck nahm zu, und sie musste gegen den Drang ankämpfen, sich zu bewegen, irgendwie von dem fortzukommen, das sie schob, sich gegen sie drückte.
Nichts. Da ist nichts. Nur das aufziehende Gewitter. Nur meine Einbildung.
Marc schaute sie ein wenig länger an, runzelte die Stirn, ließ den Motor an und lenkte das Auto über die lange, ausgefahrene »Einfahrt«, die sich eine Meile weit durch die Landschaft zu dem alten Getreidespeicher schlängelte.
Vom Rücksitz sagte Hollis: »Ich hasse Gewitter. Aber vielleicht liegt es daran. Denn ich habe noch nie zuvor Auren sehen können.«
18
Dani drehte sich um und bemerkte dabei, dass Marc rasch in den Rückspiegel blickte, um das Gesicht der Agentin sehen zu können. Ein Gesicht, wie Dani fand, das ein wenig angespannt und viel bleicher aussah als sonst.
»Ich schätze, das war nicht so aus dem Zusammenhang gerissen, wie es klang?«, fragte Dani.
Hollis sah zu Dani. Allerdings schien ihr Blick eher den Raum um Danis Körper abzutasten.
»Nein. Das war nicht aus dem Zusammenhang gerissen. Es gehört … absolut zum Thema.«
»Welches Thema?«, wollte Marc wissen.
»Das Thema von Monstern.«
Dani zwang sich ein Lachen ab. »Wer, ich?«
»Nein.« Endlich blickte die Agentin Dani in die Augen, mit einem seltsam flachen Schimmern in den eigenen. »Kannst du dich abschirmen, Dani?«
»Ein wenig. Nicht viel, aber …«
»Tu es. Jetzt. Konzentrier dich.«
Dani gehorchte ohne Zögern, schloss die Augen und bemühte sich nach Kräften, sich erneut daran zu erinnern, wie ihr beigebracht worden war, eine schützende Decke um ihre Energie zu legen. Das fiel ihr noch genauso schwer wie immer.
Mit zusammengebissenen Zähnen zischte Marc der Agentin zu: »Was zum Teufel sehen Sie?«
»Etwas, das ich noch nie gesehen haben.« Hollis’ Stimme war leise, gepresst. »Aber ich glaube … das ist keine normale Aura. Das ist eine
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