Blutvertrag
schwerer.
Er wollte mehr über diese Frau namens Linda Paquette wissen, weil er hoffte, dadurch mehr über den Mann zu erfahren, der eingegriffen hatte, um ihr die Exekution zu ersparen. Den Namen dieses Störenfrieds würde Krait bald heraus haben, aber noch kannte er ihn nicht.
In den Kommodenschubladen fand er nur weitere Kleidungsstücke, aber die erzählten ihm durchaus etwas über die Frau. Sie besaß viele Socken in verschiedenen Farben, aber nur zwei Paar Nylonstrumpfhosen. Ihre Slips waren aus Baumwolle und fast so schlicht wie Männerunterhosen, ohne Spitze und Rüschen.
Die Schlichtheit dieser Sachen bezauberte ihn.
Und sie rochen so frisch. Er überlegte, welches Waschmittel sie wohl benutzte, und hoffte, dass es sich um eine umweltfreundliche Marke handelte.
Nachdem er die letzte Schublade wieder zugeschoben hatte, betrachtete er im Spiegel über der Kommode sein Gesicht. Was er sah, gefiel ihm. Seine Wangen hatten sich nicht im Mindesten gerötet, seine Lippen war weder schmal vor Anspannung noch geschürzt vor Begierde.
Noch bevor er damit fertig war, sich selbst zu bewundern, lenkte ihn das Spiegelbild eines gerahmten Gemäldes von seinem Gesicht ab. Sein Lächeln schwand, während er sich vom Spiegel ab- und dem Bild zuwandte.
Eigentlich hätte ihm das Gemälde sofort auffallen müssen, als er das Zimmer betreten hatte. Sonst schmückte keinerlei Kunst die Wände, und die einzigen dekorativen Gegenstände auf den beiden Nachttischen waren ein Wecker mit Leuchtziffern und ein altes Motorola-Radio, beides aus den 1930er-Jahren und aus Bakelit gemacht.
Der Wecker und das Radio störten ihn nicht, doch das Gemälde – in Wirklichkeit ein billiger Druck – erregte seinen Zorn. Er nahm es von der Wand, zerschmetterte am Fußteil des Betts das Glas und riss das Bild aus dem Rahmen.
Nachdem er das Papier dreimal gefaltet hatte, schob er es in eine Innentasche seines Sportsakkos. Er wollte es aufheben, bis er die Frau gefunden hatte.
Nachdem er sie wehrlos gemacht und ihr die Kleider vom Leib gerissen hatte, würde er ihr das zerknüllte Poster in die Kehle stopfen, ihr den Mund zuhalten und sie zwingen, es
zu schlucken. Wenn sie das nicht schaffte und es wieder herauswürgte, konnte er es ihr woanders hineinstecken und dann wieder woanders; auch andere Dinge konnte er ihr reinstecken, alles, was er wollte – bis sie ihn anflehte, sie zu töten.
Leider lebte er in einer Zeit, in der solche Maßnahmen gelegentlich nötig waren.
Wieder vor dem Spiegel stehend, gefiel ihm, was er sah, daran hatte sich nichts geändert. Seinem Abbild nach zu urteilen, besaß er ein untadeliges Herz, und seine Gedanken waren voller Barmherzigkeit.
Die äußere Erscheinung war wichtig. Sie war sogar das Einzige, worauf es wirklich ankam. Von seiner Arbeit einmal abgesehen.
In dem ebenfalls äußerst ordentlichen Schränkchen im Badezimmer fand er nichts Interessantes bis auf eine Tube Lippenbalsam. Es war eine Marke, die er noch nie benutzt hatte.
In den letzten Tagen war es sehr trocken gewesen, weshalb ihm ständig die Lippen aufgesprungen waren. Das Produkt, das er normalerweise verwendete, hatte nicht viel geholfen.
Als er an dem Balsam schnupperte, nahm er keinen abstoßenden Duft wahr. Daraufhin leckte er daran und registrierte einen annehmbar milden, cremigen Orangengeschmack. Er bestrich sich die Lippen, die sich sogleich kühler anfühlten, und steckte die Tube ein.
Im Wohnzimmer zog Krait einige der alten Hardcovers heraus, die auf dem Bücherregal standen. Sie hatten merkwürdige, farbenfrohe Schutzumschläge und stammten alle von beliebten Romanciers der 1920er- und 1930er-Jahre: Earl Derr Biggers, Mary Roberts Rinehart, E. Phillips Oppenheim, J. B. Priestley, Frank Swinnerton … Mit Ausnahme von Somerset Maugham und P.G. Wodehouse waren die meisten inzwischen vergessen.
Eventuell hätte Krait ein Buch mitgenommen, das interessant aussah, doch diese Autoren waren allesamt tot. Wenn er ein Buch las, in dem unangemessene Ansichten ausgedrückt wurden, dann fühlte er sich manchmal verpflichtet, den Autor aufzusuchen und ihn zurechtzuweisen. Er las nie Bücher von verstorbenen Autoren, denn eine persönliche Diskussion mit einem lebenden Schriftsteller war ungleich befriedigender, als die Leiche eines Autors auszugraben und zu schänden.
In der Küche fand er zwei benutzte Kaffeebecher im Spülbecken. Er stand eine Weile davor und dachte darüber nach.
So ordentlich, wie sie war, hätte Linda
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