Blutvertrag
die Blitze etwas, das die weit auseinanderstehenden Straßenlaternen nicht erfasst hatten. Im Schutz eines riesigen Indischen Lorbeerbaums stand ein dunkel gekleideter Mann, den Rücken an den Stamm gelehnt.
Als der Mann sich ein kleines Stück weit vorbeugte, um dem nahenden Wagen entgegenzublicken, versilberte ein Blitz sein Gesicht, sodass es aussah wie die geschminkte Maske eines Pantomimen. Es war Kravet, der auch als Krane, Kerrington, Konrad und unter weiteren unbekannten Namen auftrat, und der so allgegenwärtig schien, als wäre er nicht nur ein Mann mit hundert Namen, sondern hundert Männer, die alle nur einen Gedanken und ein Ziel hatten.
Auch Linda sah das gespenstische Gesicht, das im Takt der grellen Blitze immer wieder auftauchte und verschwand. »Unmöglich«, flüsterte sie.
Das Rätsel dieser Erscheinung konnte später gelöst werden. Vor irgendwelchen Spekulationen ging es ums nackte Überleben.
Tim riss das Lenkrad nach rechts und trat aufs Gaspedal.
Im selben Augenblick kam der Killer aus dem Schutz des Baumes und hob dabei die Waffe wie ein böser Geist, der lange in der Erde geruht hatte und nun von einem Blitzschlag wieder zum Leben erweckt worden war.
25
Schon ein kurzes Zögern hätte zu einem anderen, blutigeren Ergebnis geführt, doch der bullige Wagen sprang gerade in dem Augenblick über den Bordstein, als Kravet aus der Deckung trat. Noch bevor er seine Waffe vollständig heben und das Feuer eröffnen konnte, war er gezwungen, zurückzuspringen, um nicht über den Haufen gefahren zu werden.
An dem Killer vorbeizufahren oder gar den Rückwärtsgang einzulegen, hätte mit Sicherheit zu einer Salve durch die Windschutzscheibe oder die Fenster der Beifahrerseite geführt. Direkt auf ihn zuzurasen, bot die besten Aussichten.
Als Kravet sich hastig rückwärts bewegte, stolperte er und fiel hin.
Tim kurvte auf ihn zu, in der Hoffnung, ihm die Knöchel, die Knie oder sonst etwas zu brechen. Als es dem Killer gelang, den Rädern auszuweichen, lenkte Tim den Wagen geradewegs in den Park hinein und beschleunigte.
Picknicktische und Bänke aus Beton. Wippen, ein Klettergerüst. Gespenstisch bewegten sich Schaukeln im Wind.
Das Heckfenster zerbarst, und Tim spürte, wie sich ein Geschoss in die Rückseite seines Sitzes bohrte.
Noch bevor er Linda zurufen konnte, sie solle sich ducken, tat sie das bereits.
Ein weiteres Geschoss prallte von Metall ab, und vielleicht wurde der Wagen auch noch ein drittes Mal getroffen, doch eine Kanonade aus Donnerschlägen übertönte die Wirkung des kleineren Kalibers.
Da sie sich inzwischen außerhalb der normalen Reichweite der Pistole befanden, waren sie nur noch durch Zufallstreffer gefährdet. Die Waffe, das hatte Tim gesehen, besaß einen verlängerten Lauf. Wahrscheinlich war das ein Schalldämpfer, durch den ihre Leistung verringert wurde.
Außerdem stand Kravet bestimmt nicht mehr an derselben Stelle und versuchte es mit einem Glückstreffer. Er war jemand, der ständig in Bewegung blieb.
So schnell, wie er es auf dem trügerischen Untergrund wagen konnte, lenkte Tim den bulligen Wagen durch den Park, auf der Suche nach dessen Ende oder irgendeinem anderen Ausweg.
Im zuckenden Gewitterlicht kam eine leere Tribüne in Sicht, dann ein Ballfanggitter und der dazugehörige Baseballplatz.
Obwohl der letzte, explosive Donner sich laut genug angehört hatte, um einen Damm zu brechen, fiel immer noch kein Regen.
Linda setzte sich wieder auf. Sie musste fast brüllen, um den Wind, der am zerborstenen Heckfenster tobte, zu übertönen. »Jetzt ist es gerade mal zehn Minuten her, seit wir aus dem Hotel geflohen sind! Wie hat er uns da bloß gefunden?«
»Er wird uns immer wieder finden.«
»Aber wie ist es möglich, dass er da hinten schon gewartet hat?«
»Er hat ein Navi-System am Armaturenbrett, und zwar kein gewöhnliches.«
»Was für ein System? Mit solchem Zeug kenne ich mich nicht aus.«
»GPS. Mit einem elektronischen Stadtplan. Offenbar hat er das Muster der Straßen studiert und sich gedacht, dass wir irgendwann da hinten landen. Und das haben wir getan.«
Sie rumpelten durch eine breite Drainagemulde. »Du meinst, er kann uns auf einem Bildschirm sehen?«
»Ja, das ist mir gerade klar geworden. Mein Wagen ist mit einem Transponder ausgestattet. Das war ein Extra, für
den Fall, dass er gestohlen wird. Dadurch kann die Polizei den Dieb per GPS verfolgen.«
»Und das dürfen die selbst dann, wenn das Auto gar nicht gestohlen
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