Blutvertrag
er bewegte sich doch mit gemessener Eile vorwärts.
24
Wenige Sekunden, nachdem die Tür zu Zimmer 308 krachend aufgeflogen war, hatten Tim und Linda Zimmer 300 bereits verlassen und die Treppe erreicht.
Der Wind ließ rote Hibiskusblüten um ihre Füße wirbeln, ihre Schritte hallten von der niedrigen Decke des Parkhauses wider, und der Wagen begrüßte sie mit blinkenden Lichtern und einem Rufton, als Tim auf die Taste am Schlüssel drückte. Tim sprang auf den Fahrersitz, und Linda nahm ihm die Pistole ab, nachdem sie mit ihrer Reisetasche eingestiegen war.
Zimmer 300 war tatsächlich leer gewesen, als Tim vor einigen Stunden vom Balkon aus die Schiebetür aufgeschraubt hatte und eingedrungen war. Linda hatte er durch die Tür zum Flur hereingelassen und dann das Schild mit der Aufschrift BITTE NICHT STÖREN an den Knauf gehängt.
Anschließend hatte er zwei Stunden lang geschlafen. Der Schlaf war allerdings eine dunkle Straße gewesen, auf der sich unruhige Träume getummelt hatten.
Nun startete er den Motor, schaltete die Scheinwerfer ein, verließ das Parkhaus und wandte sich auf der Küstenstraße nach Süden. An der nächsten Kreuzung bog er nach links ab, landeinwärts.
»Na«, sagte sie, »jetzt bin ich doch tatsächlich außer mir.«
»Das sieht man dir aber gar nicht an.«
Sie drehte sich um und spähte durch die Heckscheibe. »Glaub mir. Erinnerst du dich an die Szene, in der Richard
Dreyfuss am Heck seines Bootes steht, nachdem ihm der Weiße Hai fast ins Gesicht gesprungen ist? So fühle ich mich. Wie hat dieser Typ uns bloß gefunden?«
»Ich glaube, das lag an der Kreditkarte.«
»Bloß weil er ein Cop ist, hat er doch nicht die Leute bei MasterCard an den Eiern.«
»Die Karte war von Visa.« Tim bog nach rechts in eine Wohnstraße ab. »Außerdem ist er wesentlich mehr als nur ein Cop.«
»Egal, wer man ist, braucht man nicht einen Gerichtsbeschluss oder wenigstens irgendeine Vollmacht, um solche Nachforschungen anzustellen?«
»Dringen nicht dreizehnjährige Hacker in praktisch jedes System ein, an dem sie Interesse haben, ohne dass ihnen jemand eine Vollmacht ausgestellt hätte?«
»Also meinst du, es handelt sich um einen Supercop mit einem computerverrückten Neffen, der sich rund um die Uhr bereithält, um sich in die Computer jeder beliebigen Kreditkartenfirma zu hacken?«
»Vielleicht gibt es irgendwo einen ganzen Bau voller Typen, die früher einmal solche Neffen waren und sich in die Computer irgendwelcher Fernsehsender gehackt haben, um obszöne Nachrichten für Leute wie Nikki Cox zu hinterlassen. Jetzt sind sie fünfzehn Jahre älter und haben sich auf die Seite der dunklen Macht gestellt.«
»Ein ganzer Bau voll?« Linda schüttelte den Kopf. »Wen, sagst du, haben wir da als Gegner?«
»Ich sage gar nichts. Ich habe nämlich keine Ahnung.«
Ein Hügel ging in den nächsten über. Tim folgte keiner direkten Route, sondern fuhr im Zickzack durch Straßen mit Häusern, die trotz ihrer architektonischen Vielfalt allesamt eine stille Bedrohung auszustrahlen schienen.
»Hör mal«, sagte Linda, »ich hab inzwischen so den Eindruck, dass du jemand bist, der sich ziemlich gut auskennt. «
»In solchen Dingen nicht. Die sind mir ein paar Nummern zu groß.«
»Das ist mir bisher noch nicht aufgefallen.«
»Weil ich bisher ein bisschen Glück gehabt habe.«
»Ach, so nennst du das?«
Vom Wind zerzauste Pfefferbäume überragten die Straßenlaternen. Auf dem Pflaster zuckten die Schatten der Äste wie angespannte Nerven.
»Wer ist eigentlich Nikki Cox?«, fragte Linda.
»Die war der Star einer Fernsehserie mit dem hübschen Titel Auf schlimmer und ewig .«
»Eine gute Serie?«
»Sarkastisch, aber meistens mittelmäßig. Eine andere Figur war ein sprechender Plüschhase mit Schlappohren.«
»Ach, du lieber Himmel.«
»Ich hatte damals gerade die Pubertät hinter mir und einen Hormonspiegel, dass ich fast geplatzt wäre. Da hab ich bei jeder Folge mit hängender Zunge vor dem Fernseher gehockt.«
»Der Hase muss ja ganz schön sexy gewesen sein.«
Zwischen den Kreuzungen sah man in jeweils zwei oder drei Häusern Licht hinter den Vorhängen. Zu der Zeit, als Nikki Cox und jener sarkastische Plüschhase im Fernsehen gelaufen waren, hätte man um diese frühe Morgenstunde kaum ein Drittel so viele erleuchtete Fenster gesehen. Offenbar war dies das Jahrzehnt – vielleicht auch das Jahrhundert – der Schlaflosigkeit.
»Wo fahren wir eigentlich hin?«, wollte Linda
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