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Blutwind

Blutwind

Titel: Blutwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Melander
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Gaumen. Stahl und Vereisung. Er hatte einen Niesreiz, beherrschte sich aber. Stattdessen befeuchtete er den Zeigefinger mit der Zunge, zog ihn über die letzten Reste des feinen Pulvers und rieb es sich aufs Zahnfleisch. Mehr Stahl. Blut.
    Er stellte das Buch wieder ins Regal, faltete den kleinen Umschlag und den Geldschein zusammen, stopfte beides in die Tasche und verschwand über die Treppe.

Teil 2

30
    Abeiuwa zog sich das Leopardenfell enger um die Schultern und den kurzen hellroten Plastikrock, der nur das Allernotwendigste verbarg, ein Stück herunter. Sie behielt die Vesterbrogade im Auge. Es war so kalt in diesem Land, obwohl alle behaupteten, es sei Sommer. Sie war müde. Ihr ganzer Körper tat weh. Sie zog ein letztes Mal an ihrer letzten Zigarette und warf die Kippe in den Rinnstein. Autoscheinwerfer fegten über den schmächtigen Körper an ihrer Ecke des Vesterbro Torv, Leuchtreklamen spiegelten sich in Zierleisten aus Stahl und blanken Kühlerhauben. Die Fußgänger versuchte sie zu vergessen. Die meisten mieden sie, einige glotzten sie an. Die Menschen hier waren muffig, böse. Nicht wie daheim in Porto Novo. Sie sehnte sich zurück, vermisste ihre Mutter und ihre Geschwister. Den Vater, der auf der anderen Seite der Grenze arbeitete. Noch ein Kunde, dann war es gut für diesen Abend. Sie hoffte, dass sie sie heute nicht schlagen würden, wenn sie mit dem Geld kam. Aber warum sollten sie es nicht tun? Sie schlugen sie immer.
    Ein Auto fuhr am Bordstein entlang, durch eine Pfütze. Das schmutzige Wasser schwappte auf den Bürgersteig. Abeiuwa war bereits zur Seite getreten und konnte so das Schlimmste vermeiden. Sie bückte sich und klemmte die Brüste zwischen die Arme, damit sie sich vorwölbten. Ein Trick, den sie bereits am ersten Abend in Turin gelernt hatte. Das Fenster wurde heruntergelassen, sie lächelte ins Dunkle.
    »Fucky, fucky?« Abeiuwa zwinkerte, spitzte die hellroten Lippen.
    »How much?« Die Stimme klang rau, ein alter Mann. Es störte sie nicht. Hauptsache, er roch nicht.
    Wieder lächelte sie, diesmal ein wenig breiter.
    »Two hundred, no condom.«
    »Too much, black whore.« Der Fahrer gab Gas und bog auf die Fahrbahn ab. Ein dicker Strahl spritzte aus der Pfütze auf ihren Pelz.
    »Asshole!« Sie zeigte ihm den Finger und besah sich den Schaden. Sie konnte das Fell erst reinigen, wenn sie nach Hause kam. Ein bisschen Spiritus würde das Schlimmste beseitigen. Allerdings würde sie den Rest des Abends schrecklich aussehen. Von der anderen Straßenseite starrte ein junges Paar sie an. Sie verstand die Menschen hier nicht. Sie hatten so viele Möglichkeiten, und nur die wenigsten mussten auf die Straße gehen.
    Sie drehte sich um und ging zu Justine, die einige Meter weiter an der Vesterbrogade auf Kundschaft wartete. Vielleicht hatte sie eine Zigarette.
    Von Justine bekam sie eine North State und Kaugummi, und fünf Minuten später stand Abeiuwa wieder an ihrem Platz. Sie kaute, es ging ihr bereits wieder besser, sie blies Rauchringe in die Nacht. Sie schluckte die Tabletten, die Justine ihr gegeben hatte, Dextroamphetamin. Jetzt hielt sie es noch ein paar Stunden aus.
    Ein älteres Auto fuhr an den Bordstein. Wieder bückte sie sich, presste die Brüste zusammen, spitzte die Lippen und flüsterte heiser ins Fenster: »Fucky, fucky?«
    Der Mann im Wagen schüttelte den Kopf.
    »Sucky, sucky?« Die Stimme war weder jung noch alt.
    Abeiuwa lächelte, öffnete den Mund und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Two hundred, no condom.«
    Die Tür wurde geöffnet, sie setzte sich auf den Beifahrersitz.
    »Go to Fisketorvet. Behind.«
    Der Kunde war ein älterer Mann. Es war dunkel im Auto, sie konnte nur einen Schatten sehen. Brille, scharfe Nase, hohe Stirn. Er atmete schwer. Die Windschutzscheibe war verschmiert. Sie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel, ließ die Finger nach oben gleiten. Er atmete schwerer. Sie fuhren über die Istedgade und bogen zum Halmtorvet ab, auf die Skelbækgade. Das Lichterfest des Fisketorvet blinkte ihnen von der anderen Seite der Schienen zu. Er fuhr zur Kalvebod Brygge, hinter die im Dunklen liegenden Gebäude am Ende des Parkplatzes. War offensichtlich schon mal hier gewesen. Er parkte im Schatten eines Wohnhauses, wohin die Lichter des Fisketorvet nicht reichten, schaltete die Scheinwerfer aus. Ihre Finger hatten den Reißverschluss gefunden, sie zog ihn auf. Plötzlich roch es im Auto. Pisse? Nein, etwas anderes, irgendetwas Chemisches?

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