Boardwalk Empire
wie es der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson ausdrückte. Leider sah auch die Kasino-Industrie Atlantic Citys das Platzen der Finanzblase nicht voraus. Das entstandene Chaos wird das Wachstum der Stadt auf lange Sicht behindern und garantiert etliche Kasinos in die Insolvenz zwingen. Beobachter glauben, dass die amerikanische Wirtschaft Jahre brauchen wird, um sich wieder zu erholen. Willkommen in der neuen Realität, auf Wiedersehen, Pinnacle Entertainment!
Tatsächlich muss in Atlantic City noch sehr viel passieren. 34 Jahre nach dem Bürgerentscheid von 1976 wirkt ein großer Teil der Stadt noch genauso düster wie damals, bevor die großen Kasinos gebaut wurden. Für einen nicht geringeren Prozentsatz der Bevölkerung hat es noch gar keinen Aufschwung gegeben.
Aus den von der Casino Reinvestment Developement Authority ins Leben gerufenen Wohn- und Wirtschaftsprojekten zur Wiederbelebung heruntergekommener Stadtteile können nur die sogenannten Atlantic City Outlets neue Maßstäbe setzen. Ansonsten schreitet die bereits in den 60er-Jahren begonnene Verwahrlosung weiter voran. Bis heute gibt es keinen gemeinschaftlichen Ansatz, um die Stadt wieder in ein sauberes, sicheres und anspruchsvolles Seebad zu verwandeln. Die Versuche der letzten dreißig Jahre sind nur Stückwerk.
Für viele leer stehende ältere Gebäude gibt es kein Nutzungskonzept, und offenbar kann sich niemand entscheiden, ob man sie stehen lässt oder abreißt. Eine Schlüsselfrage bei der Beurteilung von Immobilien lautet: »Falls das Gebäude abbrennt, würde der Eigentümer es dann wieder aufbauen lassen?« Nach diesem Maßstab sind die meisten Grundstücke in Atlantic City nicht viel wert. Eine Kolumne in der Tageszeitung The Press kommentierte die Immobilienmisere folgendermaßen: »Fahren Sie einfach mal aufmerksam herum, und betrachten Sie alles mit den Augen eines Besuchers. Diese Gebäude werfen einen langen und düsteren Schatten auf eine Stadt, die sich gerne als funkelnd, lebendig und sexy vermarktet.«
Auch altgediente Journalisten und Atlantic-City-Kenner wie Donald Wittkowksi und Michael Clark werfen einen skeptischen Blick auf die Stadt. Während Clark die Lokalpolitik analysiert, beschäftigt sich Wittkowski im Detail mit der Kasino-Industrie.
Wittkowski ist kein Mann der leisen Töne: »Atlantic City hat es vermasselt. Es beherrschte einst das Glücksspiel westlich des Mississippi, aber hat seine Zeit vertrödelt, statt wie Las Vegas neue, atemberaubende Attraktionen zu entwickeln und damit die Kundschaft zu binden. In der Zeit zwischen 1990 und 2003 wurde nur ein einziges Kasino erbaut, das ist erstaunlich wenig. Solange die Gewinne wie die Wellen des Atlantiks über den Kasinos zusammenschlugen, fühlte sich offensichtlich niemand verpflichtet, weiter in die Stadt zu investieren.«
Mit den einbrechenden Umsätzen befürchtet Wittkowski, dass es auch anderen Kasinos wie dem Sands ergeht. »Die Umsätze aus dem Glücksspiel sind um 25 Prozent zurückgegangen, von einem Höchstwert von 5,2 Millarden im Jahr 2006 bis runter auf 3,9 Milliarden in 2009. Keiner weiß, wann die Talsohle erreicht ist, aber irgendwann wird es zum großen Sesselrücken kommen, und die schwachen Umsätze, die große Konkurrenz und die immer noch instabile Wirtschaftslage werden die weniger erfolgreichen Kasinos zum Schließen zwingen.«
Clarks Sichtweise der Stadtpolitik ist nicht weniger beunruhigend:
»Im Rathaus sterben die Projekte einen langsamen und qualvollen Tod. Egal, ob ein neugewählter Politiker gravierende Veränderungen oder die Revitalisierung eines Viertels verspricht, am Ende bleibt nur die Erinnerung an nicht gehaltene Versprechen. […] Die Regierung im Rathaus nimmt längst keiner mehr ernst. Ihre Versäumnisse tragen zum großen Teil Schuld daran, dass aus Atlantic City nicht das erhoffte Ferienparadies wird. Die Stadt weist zudem eine unverhältnismäßig hohe Anzahl von Angestellten im Vergleich zu Einwohnern auf – ein Resultat der Vetternwirtschaft der letzten hundert Jahre. ›Ich will meins‹, lautet das endlose Mantra der Stadt. Wo so viel Geld in Gehältern steckt, ist keines mehr für die Infrastruktur übrig, und die wird zunehmend irreparabler.«
Die Einschätzungen von Clarke und Wittkowski mögen vernichtend klingen, aber sie überraschen nicht. Die Stadt blieb immer eine Versuchsanordnung. Auch 160 Jahre nach ihrer Gründung dient sie ausschließlich der Freizeitgestaltung ihrer Besucher. Mehr denn je ist man
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