Boardwalk Empire
Partykönig. Wegen seiner Schwäche für schöne junge Frauen traf man ihn nicht selten in Begleitung von Starlets und Tänzerinnen der großen Bühnenproduktionen. Besuchte ein Prominenter die Stadt, schmiss Nucky ihm oder ihr zu Ehren meistens eine Party im Ritz. Es gab so gut wie keine Feier, bei der Nucky nicht anwesend war.
Ein typischer Tag begann für Nucky um 15.00 Uhr, wenn ihn sein Leibwächter und Butler Louis Kessel weckte. Kessel erinnerte mit seinen 1,65 und 115 Kilogramm ein wenig an einen Baumstumpf mit eingewachstem Zwirbelschnauzer. Er hatte bereits als Ringer, Barmann und Taxifahrer gearbeitet, aber jetzt stand er nur noch Nucky zu Diensten. Wenn der in einem Nachtklub war, wartete Kessel auf ihn, fuhr ihn nach Hause, zog ihn aus und brachte ihn ins Bett. Louis Kessel, genannt Louie, war ein unkomplizierter Typ, solange er jemand zu Diensten sein konnte. Er blieb fast zwanzig Jahre bei Nucky.
In der Regel massierte Louie seinen Chef nach dem Aufstehen erst einmal gründlich. Er klopfte die Muskeln weich, zog an schlaffen Hautpartien und rieb Nucky mit parfümierten Salben und Wintergrün-Öl ein. Sobald Nuckys Haut rosig genug aussah, zog er ihm einen Seidenmantel an und brachte ihn zu seinem Frühstückstisch im neunten Stock des Ritz Carlton, von wo aus er aufs Meer schauen konnte. Nucky hatte das gesamte Stockwerk gemietet und residierte wie ein Fürst. Solange Nucky dort wohnte, stach das Ritz alle anderen Luxushotels aus. Seine Anwesenheit verlieh dem Haus eine Aura von »ungezähmtem Hedonismus«.
Wenn der »Zar« dann endlich wach war, brachte ihm ein schwarzes Zimmermädchen sein Frühstück, das aus einem Liter frisch gepresstem Orangensaft, sechs gekochten Eiern und geröstetem Schinken bestand. Während des Frühstücks las Nucky Zeitung und ließ sich von lokalen Amtsträgern und Gangstern über die Geschäfte unterrichten. Nach dem Essen suchte Louis Kessel aus über hundert Maßanzügen einen aus und heftete eine frische Nelke ans Revers. Im Sommer trug Nucky lavendelfarbene oder schokoladenbraune Anzüge. Wenn es kalt war, legte ihm Louie zusätzlich einen langen Mantel aus Waschbärenfell raus. Nach dem Ankleiden begann ein Arbeitstag, der von Sonnenuntergang bis zum Morgengrauen dauerte. Sie verließen das Ritz und spazierten über den Boardwalk, wo Nucky, meist an die Brüstung gelehnt, Audienz hielt. Bettler erhielten Geld, politische Zöglinge einen guten Rat oder einen Gefallen, das dauerte je nach Andrang ein bis zwei Stunden. Danach ließ sich Nucky entweder in einem Rollstuhl über die Promenade schieben oder spazierte die Atlantic Avenue hinauf und drückte jedem, der mittellos aussah, ein wenig Geld in die Hand.
Nucky kümmerte sich gerne um die Bedürftigen der Stadt, vor allem aber um die Kinder. Es gab keinen Schuhputzer, kein Blumenmädchen oder Zeitungsjungen, dem Nucky nicht über den Kopf streichelte und ein paar Dollar zusteckte. Meistens verschaffte er ihnen freien Eintritt in die Convention Hall, wenn die Veranstaltung dort auch für Kinder geeignet war. Denn wenn Nucky eins vom Kommodore gelernt hatte, dann, dass die Wählerstimme eines Armen so viel wie die eines Reichen zählte.
Nach seinem täglichen Rundgang fuhr Kessel seinen Boss im Rolls-Royce zu einem Nachtklub, einem Abendessen, einem Schwimmbad – Nucky hielt sich durch Schwimmen fit –, auf eine politische Versammlung, in ein Kasino oder in ein Bordell, je nach Terminkalender. In der Regel wurde Nucky von einer jungen Frau begleitet, mit der er sich auf dem Rücksitz des Rolls-Royce vergnügte.
Der Zar vom Ritz war auch in New York kein Unbekannter. Obwohl es in den Wintermonaten angeblich keinen Schnee in der Stadt gab, dauerten sie Nucky zu lang, und er bezog ein Luxusappartement mit Blick auf den Central Park in Manhattan. Die Miete für das Appartement verschlang nahezu sein offizielles Jahreseinkommen als Schatzmeister. Sein Ruf als Lebemann spiegelt sich auch in einem Artikel eines New Yorker Klatschreporters wider, der Nucky in einem Atemzug mit dem Öl-Millionär Guy Loomis als »die großzügigsten Verschwender ihrer Zeit« nannte. Der Reporter beschrieb, wie Nucky bei seinen Aufenthalten in New York von einer Traube von Leuten, hauptsächlich jungen Frauen, umgeben war, mit denen er von Nachtklub zu Nachtklub zog und jedes Mal die gesamte Rechnung bezahlte. Zuweilen erhielt ein Kellner zwanzig Dollar, nur weil er Nucky eine Serviette gereicht hatte, und Trinkgelder von hundert Dollar
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