Boardwalk Empire
Schritte detailliert vorausplante. Für Nucky war die Politik nichts anderes als Strategie. Er verstand die menschliche Natur, er kannte die Bürger von Atlantic City und wusste, wie er sie manipulieren konnte. Erst unter Nucky etablierte sich ein rigides politisches Begünstigungssystem, dessen Hierarchie auf den vier Wahlbezirken der Stadt basierte. Dieses System war auch die Grundlage für die hohen Wahlsiege, die er und seine Parteifreunde Jahr für Jahr einfuhren.
Die Korruption war ein Produkt der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen. Die jahrzehntelange Vorherrschaft einer einzigen politischen Kraft in Verbindung mit der ausschließlich touristischen Ausrichtung der Stadt ließ keine andere Mentalität zu. Kritiker und Reformer duldete man hier nicht, sie waren schlecht fürs Geschäft. Es gab nur einen Wirtschaftszweig und nur eine Geisteshaltung, pluralistische Ideen hatten keine Bedeutung. Der Tourismus war der einzige Daseinszweck.
Nucky machte sich diese Mentalität zu eigen, er war ein echter Profi und ordnete alles dem wirtschaftlichen Erfolg unter, weil man das von ihm erwartete. Rechtsbruch wurde durch ihn zu einer legitimen Geschäftspraxis. Er verkörperte Erfolg und Wachstum in einer Art und Weise, die einem religiösen Kult gleichkam.
Nuckys Bezirkspolitiker glichen Sozialarbeitern, die stets ein offenes Ohr für die Bedürfnisse der Nachbarschaft hatten, und das nicht nur am Wahltag. Die vier Stimmbezirke der Stadt waren in Unterbezirke, Blocks und Straßenzüge aufgeteilt, und wenn es den Leuten irgendwo schlecht ging, erfuhr Nucky das sofort von seinen Verbindungsleuten vor Ort. Häufig halfen die Bezirksleiter, bevor überhaupt jemand um Hilfe gebeten hatte. Die Organisation fand für jedes Problem eine Lösung. Sie funktionierte auch wie ein Arbeitsamt, indem sie Jobs im öffentlichen Dienst anbot oder private Anstellungen vermittelte.
An Thanksgiving und an Weihnachten verteilte die Partei Geschenkkörbe mit frischem Gemüse und einem Truthahn an die Bedürftigen. In den Wintermonaten lud man ganze Wagenladungen mit Heizkohle in den ärmeren Stadtvierteln ab. Wenn jemand starb, nahmen der jeweilige Bezirksleiter und oft Nucky selbst an der Beerdigung teil. Nucky hielt die Hand der Witwe und flüsterte ihr ins Ohr, was für ein großartiger Mensch ihr Ehemann gewesen war. Einer von Nuckys Cadillacs stand mit einem Fahrer in Uniform bereit, um die trauernde Familie zu chauffieren. »In Atlantic City gab es keine Friedhöfe, es lag ja auf einer Insel. Für die Fahrt zum Festland hinüber in einer Luxuslimousine waren die Familien des Verstorbenen mehr als dankbar«, erinnert sich Richard Jackson. 58 Beerdigungen waren ein Teil des Geschäfts, und indem er so das Vertrauen und die Loyalität seiner Wähler gewann, schmierte er seine Machtmaschine.
Nuckys politische Schlagkraft erreichte mit den Wahlen von 1928 seinen vorläufigen Höhepunkt. Er unterstützte dabei Morgan Larson als Gouverneur von New Jersey und Hamilton Kean für den US-Senat – beide gewannen die Wahl. Nach der Wahl ermittelte ein Ausschuss des US-Senats gegen Kean, weil er Nucky angeblich einen Blankoscheck überreicht hatte, der über 20 0 000 Dollar eingelöst wurde, um Wählerstimmen zu kaufen. Der Scheck wurde nie gefunden, aber während der Vorwahlen liefen verdächtig viele Demokraten zur Republikanischen Partei über. Der Ermittlungsausschuss schätzte die Zahl der Überläufer aus Hudson auf 2 2 000. Harry Kean distanzierte sich von diesen Gerüchten und schrieb seinen Erfolg der Beliebtheit seines Förderers zu: »Jeder Redner begann damit, dass er sowohl Gott als auch Nucky Johnson dankte.« Im folgenden Jahr boten Kean und Larson Nucky an, Vorsitzender der Republikanischen Partei von New Jersey zu werden, aber er lehnte dankend ab. Sein politischer Einfluss ging längst schon so weit, dass er auf Ämter und Titel nicht mehr angewiesen war.
Nuckys Auseinandersetzung mit einer Reformergruppe namens The Committee of One Hundred ist ein gutes Beispiel dafür, wie effektiv er seine Macht einsetzen konnte. 59 Das Committee of One Hundred war ein Haufen verbissener Idealisten, die das Geschäft mit dem Laster in Atlantic City endgültig stilllegen wollten. Ihr Anführer Samuel Comly, ein örtlicher Jurist, versuchte seit Jahren erfolglos, Druck auf die Gerichte auszuüben, um den illegalen Machenschaften Einhalt zu gebieten. Zusammen mit seinem Partner Walter Thompson klapperte er sämtliche Institutionen
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