Boardwalk Empire
zum geschäftlichen Teil kam. Nach dem Frühstück auf dem Zimmer wurden Nuckys Gäste in Rollstühlen über den Boardwalk geschoben. Am nicht ausgebauten Ende der Promenade stiegen die Herren aus ihren Rollstühlen, zogen ihre Schuhe und Socken aus, krempelten die Hosen hoch und liefen den Strand entlang. Am Wasser konnten sie dann vollkommen ungestört ihre Geschäfte besprechen.
Bei diesen täglichen Strandspaziergängen gründete sich ein nationales Netzwerk des organisierten Verbrechens, das später in einem Rat gemeinsame Entscheidungen traf. Die wichtigsten Ziele waren, die Kriege zwischen den Organisationen zu beenden, gewaltfreie Bündnisse gegen die Polizei und ihre Spitzel zu bilden und eine friedliche Zusammenarbeit von Gangs im selben Geschäftszweig zu ermöglichen, um den Konkurrenzkampf zu verringern und die Gewinne zu steigern. Wie wichtig diese Tagung war, beschrieb auch Al Capone:
Ich hab ihnen gesagt, dass es genug Arbeit gibt, damit alle reich werden. Und dass es Zeit ist, mit dem Morden aufzuhören, und dass wir unser Geschäft wie einen normalen Beruf betrachten sollen: Man arbeitet tagsüber, aber am Abend denkt man nicht mehr groß darüber nach. Für viele, die jahrelang nur gekämpft hatten, war es nicht einfach, sich auf eine friedliche Zusammenarbeit zu einigen. Am Ende beschlossen wir, die Vergangenheit ruhen zu lassen und neu anzufangen. Wir setzten einen schriftlichen Beschluss auf, und jeder der Männer hat unterschrieben. 61
Damit war Atlantic City der Geburtsort des ersten landesweiten Verbrechersyndikats und Nucky Johnson sein stolzer Gastgeber. Allerdings verliefen nicht alle von Nuckys Begegnungen mit der Mafia so gesellig wie die mit Lucky Luciano. An einem Winterabend im Jahr 1932 feierte Nucky eine seiner berüchtigten Partys in Manhattan und spendierte in einer illegalen Bar jedem seiner Gäste ein Showgirl. Umringt von hübschen Frauen, vollgestopft mit Essen und angetrunken vom Champagner, saß Nucky da, als wie so oft ein Fremder zu ihm kam und ihn unter vier Augen sprechen wollte. Nucky nahm an, dass er wieder einmal jemand einen Gefallen tun sollte, und folgte ihm bereitwillig ins Nebenzimmer. Der Fremde war Tony »The Stinger« Cugino, ein Auftragskiller aus Süd-Philadelphia, er bohrte Nucky eine Pistole in die Rippen und verschleppte ihn in eine schäbige Wohnung in Brooklyn. Man benachrichtigte Nuckys Gefolgsleute, dass man ihn gegen ein Lösegeld freilassen würde. Nig Rosen verhandelte mit Cugino und bezahlte schließlich 10 0 000 Dollar, damit Nucky unversehrt zurückkam. Manche glaubten, dass Rosen selbst die Entführung inszeniert habe, um sich durch die Lösegeldzahlung Nuckys Dankbarkeit zu erkaufen. Sicher ist, dass Nucky Rosen ein Weile nach diesem Vorfall Anteile am Glücksspiel von Atlantic City und die Kontrolle über ein Kasino an der Iowa Avenue übergab. 62
Nuckys Lebenslauf als Politiker und Gangster geben nicht nur Hinweise auf seine komplexe Persönlichkeit, sondern auch auf die laxen Moralvorstellungen seiner Bürger. Die Leute in Atlantic City hatten kein Problem damit, die Auswärtigen auszunehmen. Hauptsache, die Touristen blieben bei Laune, während sie sich von ihrem Geld trennten. Johnson war der Altmeister in dieser Disziplin, und die Bewohner verehrten ihn dafür. Nucky und seine Bande repräsentierten die Moral von Atlantic City. Unter seinem Regime erlangten Gangster viel mehr Ansehen als in jeder anderen Stadt des Landes. Das leicht verdiente Geld aus der Korruption pervertierte die gängigen Wertvorstellungen. Betreiber illegaler Unternehmen wie Bars, Kasinos, Lotterien, Zuhälter, Huren, korrupte Polizisten und korrupte Politiker wurden in der Regel als Übel der Gesellschaft angesehen, in Atlantic City waren sie geschätzte Mitglieder ihrer Gemeinde. Die Erfolgreichen unter ihnen galten nicht selten als Helden und Vorbilder. Bis ins Mark korrupt: Nur so funktionierte Nucky Johnsons Atlantic City.
49 Aus einem Interview mit dem Chauffeur Joseph Hamilton.
50 Die Beschreibungen von Smith und Virginia Johnson basieren auf Interviews mit Mary lll und Richard Jackson.
51 Aus einem Gespräch mit Mary Ill.
52 Aus einem Interview mit Richard Jackson.
53 Aus Interviews mit Richard Jackson und Murray Fredericks.
54 Aus einem Interview mit Murray Fredericks.
55 Kobler, J.: The Life and World of Al Capone. G . P. Putnam’s Songs, 1971.
56 Aus einem Interview mit Richard Jackson.
57 Aus einem Interview mit Richard Jackson.
58 Aus
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