Bob, der Streuner
er alle möglichen Krankheiten haben. Ich kannte so viele Geschichten von Katzen und Hunden, die für kleinere Eingriffe betäubt worden waren und nicht mehr aufgewacht sind. Ich tat mein Möglichstes, keine Horrorszenarien in meinem Kopf zuzulassen. Die schwarzen Wolken am Himmel waren dabei nicht gerade hilfreich.
Die Zeit verging sehr, sehr langsam an diesem Tag. Als es endlich Viertel nach vier war, packte ich schnell meine Gitarre ein und machte mich auf den Rückweg. Die letzten Meter zur Klinik legte ich im Laufschritt zurück.
Die gleiche Tierarzthelferin, die mich morgens befragt hatte, stand an der Rezeption und unterhielt sich mit einer Kollegin. Sie begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln.
»Und? Wie geht es ihm? Hat er alles gut überstanden?«, keuchte ich, noch ganz außer Atem von meinem Sprint.
»Es geht ihm gut, keine Sorge!«, beruhigte sie mich. »Sobald Sie wieder Luft kriegen, bringe ich Sie zu ihm.«
In dem Moment konnte ich gar nicht auf ihren Scherz eingehen, denn irgendetwas schnürte mir die Kehle zu. Seit Jahren war ich nicht mehr so besorgt gewesen wie heute. Zum Glück führte mich die nette Assistentin ohne weitere Umschweife in einen der Beobachtungsräume der Klinik. Bob lag noch völlig weggetreten in einem sauberen, warmen Käfig.
»Hallo Bob, wie geht’s dir denn?«, sprach ich ihn an.
Keine Reaktion. Ich setzte mich auf einen Stuhl und wartete. Der Geruch des frisch operierten Katers raubte mir fast den Atem.
Es dauerte noch eine Weile, bis er den Kopf heben konnte und mich erkannte. Er kam nur langsam zu sich. Irgendwann richtete er sich schwankend auf und tappte mit seinen Krallen kraftlos gegen die Gitterstäbe des Käfigs, als wollte er sagen: »Lass mich hier raus!«
Während die Assistentin ihn nochmals gründlich untersuchte, unterschrieb ich seine Entlassungspapiere. Sie überprüfte, ob er schon fit genug war, um die Klinik zu verlassen.
Sie war wirklich nett und sehr hilfsbereit, ganz anders als die Mitarbeiter in der Tierambulanz. Sie zeigte mir die Mini-Schnitte an Bobs Hinterteil. »Die beiden Stellen werden noch ein paar Tage geschwollen sein, aber das ist ganz normal«, versicherte sie mir. »Bitte sehen Sie hin und wieder nach, ob alles schön trocken bleibt und verheilt. Sollte Sekret austreten oder Ihnen sonst etwas Ungewöhnliches auffallen, bitte anrufen oder gleich mit ihm herkommen. Aber das wird nicht passieren, er ist ein ganz robuster Junge.«
»Wie lange wird es dauern, bis er sich ganz erholt hat?«, wollte ich wissen.
»Es kann schon ein paar Tage dauern, bis er wieder ganz der Alte ist. Das hängt von seiner Konstitution ab. Manche Katzen sind gleich wieder fit, andere sind ein paar Tage völlig apathisch. Aber nach achtundvierzig Stunden haben sich die meisten wieder berappelt«, spulte sie gut gelaunt ihren oft wiederholten Text ab. »Wahrscheinlich wird er morgen noch nicht viel fressen, aber länger lässt der Appetit meist nicht auf sich warten. Sollte er aber schläfrig und träge bleiben, bringen Sie ihn bitte wieder her. Es kommt zwar selten vor, aber manchmal können nach der Operation Infektionen auftreten.« Sie war wirklich sehr fürsorglich.
Ich holte die Recycling-Kiste hervor und wollte Bob hineinheben, aber sie bat mich, noch einen Moment zu warten. Sie verließ den Raum und kehrte mit einem wunderschönen, himmelblauen Tragekorb zurück. »Oh, der gehört uns nicht!«, wehrte ich ab.
»Den können Sie gerne mitnehmen, wir haben so viele davon. Es reicht, wenn Sie ihn irgendwann zurückbringen, wenn Sie in der Gegend sind.«
»Ehrlich?«, fragte ich verblüfft. War er vergessen worden? Oder hatte jemand seine Katze hierhergebracht, aber nicht mehr mit nach Hause nehmen können? Lieber nicht darüber nachdenken.
Die Operation hatte Bob sehr geschwächt. Auf dem Rückweg lag er matt und teilnahmslos in seinem Korb. Zu Hause angekommen, wankte er, obwohl ihm seine Beine noch nicht wirklich gehorchen wollten, ungeschickt zur Heizung und ließ sich dort schwerfällig auf seinen Lieblingsplatz plumpsen. Bis zum nächsten Morgen rührte er sich nicht mehr vom Fleck. Er hielt seinen Genesungsschlaf.
Am nächsten Tag ging ich nicht zur Arbeit. Der Tierarzt hatte empfohlen, ihn die nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden nicht allein zu lassen, für den Fall, dass Nebenwirkungen oder sonstige Probleme auftauchten. Besonders auf länger anhaltende Benommenheit sollte ich achten, das wäre ein schlechtes
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