Bob, der Streuner
er genauso warten wie ich.
Am frühen Abend spuckte die U-Bahn die zur Stoßzeit üblichen Horden aus: Leute, die von der Arbeit kamen oder im Westend ausgehen wollten. Unglaublich viele von ihnen verlangsamten an diesem Tag ihren Schritt und beäugten verwundert die Katze im Gitarrenkasten. Bob war ein kleiner Publikumsmagnet.
Es wurde schon dunkel, als eine gut gekleidete Dame in den Vierzigern stehen blieb, um ein paar Worte mit mir zu wechseln.
»Wie lange haben Sie ihn schon?«, fragte sie, während sie sich zu Bob hinunterbeugte, um ihn zu streicheln.
»Oh, erst seit ein paar Wochen«, antwortete ich. »Wir haben uns zufällig gefunden.«
»Ihr habt euch gefunden? Das klingt aber interessant!«
Ich wurde misstrauisch. Vielleicht war sie ja eine Tierschützerin, die mir gleich erzählen würde, dass ich kein Recht hatte, ihn zu behalten, oder ähnliches. Aber ich tat ihr Unrecht. Sie war nur eine echte Katzenliebhaberin. Lächelnd hörte sie zu, als ich ihr kurz berichtete, wo ich ihn gefunden hatte und wie ich ihn erst einmal gesund gepflegt hatte.
»Ich hatte auch mal so einen roten Kater«, verriet sie mir und sah dabei ganz traurig aus. Einen Moment fürchtete ich, sie würde in Tränen ausbrechen. »Sie sollten sich glücklich schätzen, dass er Ihnen zugelaufen ist. Katzen sind wunderbare Gefährten. Sie sind beruhigend und klug. Sie haben jetzt einen wahren Freund an Ihrer Seite«, sagte sie.
»Ja, da haben Sie wohl recht«, erwiderte ich lächelnd.
Sie legte tatsächlich fünf Pfund in den Gitarrenkasten, bevor sie weiterging.
Frauen waren besonders angetan von Bob. An diesem Tag waren bestimmt 70 Prozent unserer Spender weiblich.
Bereits nach einer Stunde hatten wir so viel eingenommen, wie ich sonst an einem guten Tag einspielte – über 25 Pfund!
Das ist ja fantastisch, dachte ich.
Aber ich hatte das Gefühl, wir sollten weitermachen. Ich wollte versuchen, unsere Glückssträhne auf den Abend auszudehnen, weil ich immer noch an Bob zweifelte. Obwohl ich mich langsam mit dem Gedanken anfreundete, dass der Kater und ich füreinander bestimmt waren, gab es immer noch eine warnende innere Stimme, die mir fortwährend zuflüsterte: »Eines Tages verschwindet er aus deinem Leben, um seinen eigenen Weg zu gehen.« Verständlich, oder? So, wie er plötzlich in meinem Leben aufgetaucht war, würde er irgendwann wieder abtauchen. Oder sollte ich wirklich mal Glück haben im Leben? Viele Passanten blieben stehen, um Bob zu bewundern und zu streicheln. Ich beschloss, die Gunst der Stunde zu nutzen. Heu ernten, solange die Sonne scheint, oder so ähnlich.
Solange er gerne mitkommt und Spaß hat an unseren Ausflügen, werde ich es genießen, nahm ich mir vor. Und wenn ich dabei auch noch ein bisschen mehr verdiene, freue ich mich einfach darüber.
Am Ende des Abends war die Überraschung perfekt. Gewöhnlich erspielte ich mit meiner Gitarre etwa 20 Pfund pro Tag. Das reichte, um Lebensmittel zu kaufen und die sonstigen Ausgaben für die Wohnung abzudecken. Als ich an diesem Abend gegen acht Uhr Feierabend machte, waren viel mehr Münzen in meinem alten Gitarrenkasten, als ich je auf einem Haufen gesehen hatte. Ich brauchte ganze fünf Minuten, um all das Kleingeld vor mir zu zählen. Vor mir lagen Hunderte von Münzen in allen Größen und sogar mehrere Scheine.
Als ich endlich alles mühsam zusammengezählt hatte, schüttelte ich ungläubig den Kopf. An diesem Tag war die stattliche Summe von 63,77 Pfund zusammengekommen. Für die meisten Leute war das vielleicht nicht viel, aber für mich war es ein kleines Vermögen.
Ich schaufelte die Münzen mit den Händen in meinen Rucksack und warf ihn mir über die Schulter. Er war richtig schwer, und die Münzen klimperten in seinem Bauch wie in einem Riesen-Sparschwein. Ich war völlig aus dem Häuschen. So viel hatte ich als Straßenmusiker noch nie verdient. Dreimal so viel wie sonst an einem Tag!
Ich nahm Bob auf den Arm und kraulte ihm den Nacken. »Das hast du toll gemacht, mein Großer!«, lobte ich. »Das nenne ich einen gelungenen Arbeitstag!«
An diesem Abend konnte ich mir die Tour entlang der Pubs sparen. Außerdem waren wir beide ausgehungert. Wir mussten schnell nach Hause.
Auf dem Weg zur Busstation saß Bob wieder auf meiner Schulter. Ich war nicht unhöflich, aber ich ließ mich auf keine Gespräche mehr ein mit all den Leuten, die stehen blieben und uns anlächelten. Es ging nicht. Es waren einfach zu viele, und ich wollte möglichst
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