Bob, der Streuner
Street entlang Richtung Long Acre. Aber wir kamen nicht weit. Kaum war ein Bewunderer weg, stand schon der nächste vor uns, und der nächste, und der nächste … . Nach jedem Schritt war wieder jemand da, der Bob streicheln und mit ihm reden wollte.
Mein Stolz auf meinen beliebten Freund verflog mit der Erkenntnis, dass wir so unser Ziel nie erreichen würden. Normalerweise brauchte ich zehn Minuten von der Bushaltestelle bis zu meinem Lieblingsplatz in Covent Garden. Jetzt waren wir bereits eine halbe Stunde unterwegs und noch nicht mal in der Nähe des ehemaligen Blumenmarktes.
Erst gegen drei Uhr nachmittags erreichten wir endlich und mit einer geschlagenen Stunde Verspätung die U-Bahn-Station.
Vielen Dank auch, Bob, wetterte ich in Gedanken. Du kostest mich mit deinem Charme ein paar Pfund Tageseinnahme. Aber richtig böse konnte ich mal wieder nicht sein.
Trotzdem war die Lage ernst. Wenn Bob mich jeden Tag so aufhielt, konnte ich ihn nicht mehr mitnehmen, überlegte ich. Aber diesen Vorsatz würde ich ganz schnell wieder aufgeben.
Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits seit eineinhalb Jahren in Covent Garden als Straßenmusiker unterwegs, täglich von zwei Uhr nachmittags bis circa acht Uhr abends. Meiner Erfahrung nach war das die beste Zeit, um sowohl Touristen als auch Leute zu treffen, die vom Einkaufen oder von der Arbeit kamen. Am Wochenende fing ich früher an und spielte über die Mittagszeit. Donnerstag, Freitag und Samstag machte ich Spätschicht, denn das waren die Ausgehtage der Londoner.
Ich hatte gelernt, mich nach meinem Publikum zu richten und genau dann und dort zu spielen, wo viele unterwegs waren. Der Gehweg auf der James Street, genau vor dem Ausgang der U-Bahn-Station Covent Garden, war mein Stammplatz. Dort war bis 18.30 Uhr immer viel los. Danach graste ich die Pubs ab, weil die Leute zum Rauchen und Trinken meist vor den Lokalen standen. In den Sommermonaten, wenn sich die Geschäftsleute nach einem harten Arbeitstag bei Bier und Zigaretten in der Abendsonne entspannten, waren sie meist auch in Spendierlaune.
Aber es war nicht alles eitel Sonnenschein. Manche Leute reagierten sehr ungehalten, wenn ich sie ansprach. Pöbeleien wie »Verpiss dich, du Schnorrer!« oder »Such dir einen richtigen Job, du faules ****« waren leider auch an der Tagesordnung. Aber so war das nun mal. Ich hatte mich daran gewöhnt und mir ein dickes Fell zugelegt. Es gab genug Leute, die meine Musik mochten und mir dafür ein Pfund zusteckten.
Meine Auftritte auf der James Street waren leider nicht ganz legal, denn mein Lieblingsplatz lag außerhalb der Zone für Straßenmusiker. Covent Garden war von den Behörden für Straßenkünstler in Kleinkunstviertel aufgeteilt. Die Verwaltung obliegt dem Stadtrat, dessen Mitarbeiter penibel auf die Einhaltung dieser Einteilung achten. Wir nennen diese Leute »Covent Guardians«, die Wächter von Covent Garden.
Der Platz, auf dem ich offiziell spielen durfte, lag im Osten des Viertels, in der Nähe des Royal Opera House und der Bow Street. Für die Covent Guardians ist das der Bereich für die Straßenmusiker. Die Westseite von Covent Garden war den Straßenkünstlern zugesprochen worden. Aber die Jongleure und Alleinunterhalter bevorzugten den Platz vor dem Punch and Judy , einem Pub mit ziemlich grobem Publikum, das sich aber gern unterhalten ließ.
In der James Street, wo ich am liebsten spielte, sollten eigentlich nur die menschlichen Statuen ihrem Erwerb nachgehen. Es gab einen Charlie Chaplin, der echt was drauf hatte, aber er war sehr selten da. Meist war sein Platz leer und nach meinem Verständnis somit frei für mich. Die Covent Guardians konnten mich natürlich jederzeit vertreiben, aber das Risiko ging ich gerne ein. Die Stelle war einfach ideal, weil die U-Bahn im Zehnminutentakt Horden von Passagieren ausspuckte. Wenn mir nur einer von tausend etwas in den Gitarrenkasten warf, konnte ich davon leben.
Es war kurz nach drei, als wir endlich an meinem Stammplatz ankamen. Gerade als ich in die James Street einbiegen wollte, wurden wir zum -zigten Mal angesprochen, diesmal von einem jungen Schwulen, der offenbar gerade aus dem Fitnessstudio kam. Jedenfalls trug er ziemlich verschwitzte Sportklamotten.
Er knuddelte Bob fast zu Tode und fragte tatsächlich – ich glaube, es war ein Scherz – ob er mir Bob abkaufen könnte.
»Oh nein, der ist nicht zu verkaufen«, wehrte ich höflich ab. Nur zur Sicherheit, falls er es doch ernst meinte. Als wir
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