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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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endlich weitergehen konnten, murmelte ich Bob kopfschüttelnd ins Fell: »So was gibt es nur in London, mein Freund! Nur in London!«
    Als wir schließlich angekommen waren, peilte ich vorsichtig die Lage. Kein Covent Guardian in Sicht. Manchmal vertrieben mich auch die Sicherheitsleute des U-Bahnhofs, die natürlich auch die amtliche Einteilung kannten. Aber auch von denen war keiner in Sicht.
    Ich setzte Bob auf den Gehweg, ganz hinten an die Mauer, öffnete den Reißverschluss meiner Gitarrentasche und zog meine Jacke aus. Es konnte losgehen.
    Meistens brauchte ich um die zehn Minuten, bis ich die Gitarre gestimmt hatte, anfing zu spielen und die Aufmerksamkeit der vorbeihastenden Leute auf mich gelenkt hatte. Aber an diesem Tag war alles anders. Noch bevor ich den ersten Ton angeschlagen hatte, verlangsamten ein paar Leute ihr Tempo und warfen mir ein paar Münzen in den Gitarrenkasten. Wie großzügig , dachte ich, konzentrierte mich aber weiter auf das Stimmen meiner Gitarre. Und so dauerte es eine Weile, bis bei mir der Groschen fiel.
    Ich stand mit dem Rücken zu den Leuten, hörte aber weiterhin das klimpernde Geräusch von Münzen, die beim Wurf in meinen Gitarrenkasten aufeinanderprallten. Erst als ich eine männliche Stimme hörte: »Hey, tolle Katze!«, drehte ich mich um. Vor mir stand ein junger Mann in Jeans und T-Shirt, der mir das »Daumen-hoch«-Zeichen zeigte und gleich darauf mit breitem Grinsen in der Menge verschwand.
    Verdutzt sah ich nach unten und fand die Erklärung für die plötzliche Spendenfreudigkeit meiner Mitmenschen: Bob hatte sich mitten im leeren Gitarrenkasten gemütlich zusammengerollt. Ganz unbewusst hatte er sich charmant in Szene gesetzt. Der Anblick war herzerweichend!
    Gitarre spielen habe ich mir als Teenager in Australien so gut wie selbst beigebracht. Freunde zeigten mir die verschiedenen Griffe, und ich habe so lange geübt, bis ich diverse Stücke spielen konnte. Da war ich etwa fünfzehn oder sechzehn. Das ist ziemlich spät, um ein Instrument zu erlernen. In einem Second-Hand-Laden in Melbourne kaufte ich mir eine E-Gitarre. Davor hatte ich nur auf den Akustik-Gitarren von Bekannten geübt. Aber ich wollte unbedingt eine elektrische, weil ich ein großer Fan von Jimi Hendrix war. Ich wollte genauso gut werden wie dieser fantastische Musiker.
    Zu meiner Auswahl an Songs, die ich mir für meine Vorstellungen auf der Straße zusammengestellt hatte, gehörten viele alte Nummern, die ich seit Jahren gerne spielte. Kurt Cobain war auch einer meiner Helden, also spielte ich diverse Nirvana-Songs. Aber auch Bob Dylan und Johnny Cash. Eines der beliebtesten Stücke in meinem Repertoire war Hurt. Im Original von Nine Inch Nails, aber ich bevorzugte die Cover-Version von Johnny Cash, einem akustischen Stück. Auch Man in Black von Johnny Cash gehörte dazu. Ein tolles Stück für jeden Straßenmusiker, und es passte so gut zu mir, weil ich immer schwarz gekleidet war. Am besten kam jedoch Wonderwall von Oasis an. Dafür gab es immer die meisten Münzen, besonders abends, wenn ich die Pubs abklapperte.
    Ich spielte fast immer dasselbe, tagein, tagaus. Die Leute wollten das so. Auch den Touristen gefiel meine Musikauswahl. Meist begann ich mit About a Girl von Nirvana, um meine Finger zu lockern. So auch an diesem Tag, als Bob vor mir saß und seelenruhig die vorbeiziehenden Massen beobachtete, die aus der U-Bahn-Station strömten.
    Schon nach ein paar Minuten blieben ein paar Jugendliche bei uns stehen. Offenbar waren sie aus Brasilien, denn sie trugen alle brasilianische Fußballtrikots und sprachen portugiesisch. Ein Mädchen aus der Gruppe beugte sich vor und begann, Bob zu streicheln. »Ah, gato bonita«, hörte ich.
    »Sie sagt, du hast eine wunderschöne Katze«, übersetzte einer der Jungs. Die Jugendlichen auf Bildungsreise in London waren fasziniert von Bob. Immer mehr Leute blieben stehen. Manche aus reiner Neugier, weil sie wissen wollten, was es da Besonderes zu sehen gäbe. Mindestens sechs der jungen Brasilianer und auch viele andere Passanten kramten in ihren Taschen nach Kleingeld. Ein wahrer Münzregen ergoss sich in meine Gitarrentasche rund um Bob.
    »Hey, Bob, du machst dich gut als Partner! Du kannst gern öfter mitkommen«, grinste ich anerkennend.
    Da Bobs Anwesenheit nicht geplant gewesen war, hatte ich nur meine Standardration an Leckerchen in meinem Rucksack. Davon steckte ich ihm zwischendurch immer wieder ein paar zu. Auf eine richtige Mahlzeit musste

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