Bob, der Streuner
mein Leben wieder in den Griff zu bekommen.
Am nächsten Morgen gab ich mir Mühe mit meinem Aussehen. Ich wollte einen guten Eindruck machen. Ich zog ein Hemd an statt dem sonst üblichen T-Shirt und band die Haare mit einem Gummi zusammen. Dann machte ich mich mit dem ganzen Papierkram auf den Weg nach Vauxhall. Bob war natürlich auch dabei. Ich war sicher, er würde mir beim Zeitungsverkaufen genauso helfen wie beim Gitarrespielen. Er war sozusagen mein bester Mitarbeiter. Deshalb wollte ich für ihn auch einen Verkäufer-Ausweis beantragen.
Redaktion und Büro des Big-Issue -Magazins liegen in einem unscheinbaren Bürogebäude am südlichen Ufer der Themse, ganz in der Nähe der Vauxhall-Brücke und dem M16-Gebäude.
Schon beim Betreten der Eingangshalle fiel mein Blick auf ein riesiges Schild »Hunde müssen draußen bleiben«. Früher waren Hunde erlaubt gewesen, aber oft liefen so viele herum, dass sie miteinander kämpften. Ich nehme an, dass Hunde deshalb jetzt verboten waren. Zum Glück stand da nichts von Katzen.
Nachdem ich ein paar Formulare ausgefüllt hatte, durfte ich mich in den Empfangsbereich setzen und warten. Kurze Zeit später wurde ich aufgerufen. Der Personalchef war ein sympathischer Mann. Unser Gespräch hatte mehr von einer Unterhaltung als von einem Jobinterview. Er hatte vor Jahren selbst auf der Straße gelebt. The Big Issue war sein Trittbrett zurück ins normale Leben gewesen.
Ich schilderte ihm meine Lebenssituation, und er war sehr verständnisvoll. »Ich weiß, was da draußen abgeht, James, das kannst du mir glauben«, nickte er.
Schon nach ein paar Minuten hatte ich seine Zusage in der Tasche. Er schickte mich weiter ins Nachbarbüro, wo der Ausweis ausgestellt wurde. Ich sollte fotografiert werden und dann auf meinen laminierten Ausweis mit Foto und Verkäufer-Nummer warten. Ich fragte den zuständigen Mitarbeiter, ob Bob auch einen Ausweis haben könnte.
Der Angestellte schüttelte bedauernd den Kopf: »Tut mir leid, aber das geht wirklich nicht. Haustiere kriegen keinen Ausweis. Diese Frage wird öfter gestellt. Allerdings bisher nur wegen Hunden. Eine Katze war noch nie dabei.« Beim letzten Satz musste er grinsen.
Aber so schnell gab ich nicht auf: »Kann er vielleicht mit mir zusammen auf dem Ausweisfoto sein?«
Der Fotograf verzog gequält das Gesicht, aber letztendlich gab er nach.
»Okay, Foto mit Katze!«, grinste er.
»Lächeln!«, flüsterte ich Bob ins Ohr, als wir vor der Kamera saßen.
Während wir auf die Entwicklung des Fotos warteten, erledigte ich die restlichen Formalitäten. Jeder Big-Issue -Verkäufer erhält seine eigene Registrierungsnummer. Diese Kennzahlen werden aber nicht fortlaufend vergeben, sonst wären sie inzwischen bereits im fünf- oder sechsstelligen Bereich. So viele Big-Issue -Verkäufer hat es schon gegeben. Aber die meisten verschwinden früher oder später ohne Abmeldung auf Nimmerwiedersehen. Deshalb werden die Ausweisnummern neu vergeben, wenn ein Verkäufer über einen längeren Zeitraum in den Umsatzlisten nicht mehr auftaucht.
Nach einer Viertelstunde war unser Ausweis fertig. Beim Anblick des Fotos konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen. Bobs Kopf links neben meinem: Wir waren als Team registriert. Die Big-Issue -Verkäufer mit der Lizenz Nr. 683.
Der Rückweg nach Tottenham dauerte lange: eineinhalb Stunden Fahrt mit zwei Bussen. Um mir die Zeit zu vertreiben, las ich in der Broschüre, die ich vom Personalchef in die Hand gedrückt bekommen hatte. Vor zehn Jahren habe ich das Handbuch zwar überflogen, aber so gut wie nichts davon behalten. Damals hatte ich den Job auch nicht so ernst genommen; die meiste Zeit war ich sowieso zugedröhnt. Diesmal war ich hochmotiviert und wollte alles richtig machen.
Gleich auf der ersten Seite ging es um die Zielsetzung des Magazins: » The Big Issue wurde gegründet, um Obdachlosen und Menschen in sozialen Wohnprojekten die Möglichkeit zu geben, mit dem Verkauf des Magazins auf legale Weise ihr Geld zu verdienen. Wir glauben an Hilfe zur Selbsthilfe statt der Vergabe von Almosen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.« Genau das brauche ich , dachte ich: Hilfe zur Selbsthilfe. Und diesmal werde ich sie annehmen!
Auf der nächsten Seite stand alles über die Probezeit, die ich durchlaufen musste, und dass man die Einhaltung der Verhaltensregeln per Unterschrift bestätigen musste. An die Probezeit erinnerte ich mich noch: Man
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