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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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arbeitet an einem vom Bezirksleiter zugewiesenen Platz und wird von den Vorgesetzten vor Ort beobachtet und bewertet. Erst wenn man sich dort bewährt hat, bekommt man seine eigene Verkaufsstelle zugewiesen, erklärt die Broschüre.
    Als Einstiegshilfe erhält man zehn Magazine umsonst. »Ab diesem Zeitpunkt ist der Verkäufer als selbständiger Unternehmer tätig« las ich weiter. »Es liegt an ihm, was er aus dieser Starthilfe macht. Sobald die Freiexemplare verkauft sind, zahlt man 1 Pfund pro Magazin im Einkauf und verkauft es für 2 Pfund. Der Big-Issue -Verkäufer verdient somit 1 Pfund pro Zeitschrift.«
    Eine weitere Regel war die Selbstständigkeit der Verkäufer. »Nicht verkaufte Ausgaben werden nicht zurückgenommen. Dies bedeutet, dass jeder selbst für seine Verkäufe und Finanzen verantwortlich ist. Diese Aufgabe zusammen mit dem Selbstbewusstsein und der eigenen Wertschätzung, die unsere Verkäufer durch ihre Arbeit erlangen, sind von entscheidender Bedeutung für die Wiedereingliederung von Obdachlosen und Sozialhilfeempfängern in die Gesellschaft.«
    Das war das einfache Erfolgskonzept der Macher von The Big Issue. Aber ganz so leicht war es nicht, wie ich schon bald herausfinden sollte.
    Gleich am nächsten Morgen fuhren wir wieder nach Covent Garden, um Sam zu treffen. Ich konnte es gar nicht abwarten mit meiner »Probezeit« loszulegen.
    »Und? Ist alles gut gelaufen in Vauxhall?«, rief sie uns entgegen, sobald sie Bob und mich erspähte.
    »Ich denke schon. Immerhin habe ich jetzt den hier«, grinste ich stolz und holte meinen laminierten Ausweis aus der Jackentasche.
    »Super!«, lobte Sam und fing an zu lachten, als sie das Foto von Bob und mir sah. »Dann könnt ihr beiden ja gleich loslegen!« Ohne weitere Umschweife zählte sie mir die zehn kostenlosen Exemplare vom Stapel. Beim Überreichen meines Startkapitals vergewisserte sie sich noch: »Du weißt, dass du alle weiteren Exemplare kaufen musst?«
    »Ja, hab ich verstanden«, bestätigte ich ihr.
    Sie nickte zufrieden und überflog dabei eine Liste, die vor ihr auf dem Tresen lag. »’tschuldige, aber ich schau nur, welchen Probeplatz ich dir geben kann.«
    Schon nach ein paar Sekunden erhellte sich ihre nachdenkliche Miene.
    »Und? Was gefunden?«, drängelte ich aufgeregt.
    »Ich denke schon«, antwortete sie langsam.
    Was dann kam, war Ironie des Schicksals vom Feinsten.
    »Ja, ich denke, dieser Platz ist frei«. Ihr Zeigefinger ruhte auf einem Punkt im Stadtplan von Covent Garden, den ich nur zu gut kannte. Auf der James Street, ein paar Meter entfernt von der U-Bahn-Station.
    Ich konnte mir das Lachen nicht verkneifen.
    »Ist das ein Problem? Bist du okay?«, fragte Sam leicht verwirrt. »Ich kann dir auch einen anderen Platz geben.«
    »Nein, auf gar keinen Fall«, sagte ich schnell. »Ein toller Platz mit vielen Erinnerungen. Ich werde sofort anfangen.«
    Ich verlor keine Zeit mehr und lief hinüber zu meinem alten Stammplatz. Ich legte eine Decke auf den Boden für Bob, platzierte meinen Rucksack daneben und legte los. Es war früher Vormittag. Als Straßenmusiker hatte ich immer erst gegen elf Uhr angefangen, aber auch um diese Zeit waren schon viele Leute unterwegs, vor allem Touristen. Es war ein heller, sonniger Tag, und aus meiner langjährigen Erfahrung wusste ich, dass bei gutem Wetter alle viel besser gelaunt waren und das Kleingeld lockerer saß als bei schlechtem Wetter.
    Wenn ich genau an diesem Platz als Straßenmusiker saß, hatte ich ständig die Behörden im Nacken. Als Big-Issue -Verkäufer hatte ich eine Genehmigung, hier zu sein. Ich konnte es mir nicht verkneifen, mich so nah wie möglich an den Ausgang der James Station zu setzen, gerade noch außerhalb der Bahnhofshalle.
    Während ich The Big Issue anbot, spähte ich immer wieder in die Halle. Ich suchte nach einem der Kontrolleure, die mir früher das Leben so schwer gemacht hatten. Schon nach kurzer Zeit sah ich den fetten Riesen mit dem Schweißproblem. Er trug sein blaues Uniformhemd und war so beschäftigt, dass er mich gar nicht wahrnahm. Ich bin noch länger da , schmunzelte ich voller Genugtuung.
    In der Zwischenzeit konzentrierte ich mich auf den Verkauf meiner zehn Freiexemplare von The Big Issue. Mir war klar, dass ich diesen Standort bekommen hatte, weil er für die meisten Verkäufer ein Albtraum war. Vor dem U-Bahnhof hat keiner Zeit, sich auf jemanden einzulassen, der etwas verkaufen will. Die Leute haben es eilig, weil sie die nächste

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