Bob, der Streuner
U-Bahn erwischen wollen. Wenn sie herauskommen, haben sie ein Ziel oder eine Verabredung. Ein Zeitungsverkäufer, der es an diesem Standort schafft, einen von tausend Leuten herauszuziehen, ist ein wahrer Künstler. Es war ein wirklich undankbarer Probeplatz. Beim Gitarrespielen auf der anderen Straßenseite hatte ich eine ganze Reihe von Big-Issue -Anfänger beobachtet, wie sie vergeblich versuchten, die Aufmerksamkeit von Fahrgästen zu erhaschen. Ich kannte das Problem unseres Standorts.
Aber ich war ja kein normaler Verkäufer. Ich hatte eine Geheimwaffe: Meinen Mitarbeiter Bob, der bisher die Passanten von Covent Garden verzaubert hatte. Und es dauerte nicht lange, bis seine Magie auch hier wirkte.
Bob saß neben mir auf meinem Rucksack. Wie eine kleine Sphinx beobachtete er zufrieden und gelassen die vorbeiströmenden Massen. Viele der eiligen Passanten übersahen Bob, während sie mit Handy am Ohr in ihren Taschen nach der Fahrkarte kramten. Aber zum Glück nicht alle.
Kaum hatten wir es uns gemütlich gemacht, blieben schon zwei amerikanische Touristinnen vor uns stehen. Ungläubig zeigten sie auf Bob.
»Ooooh!«, machte eine und griff zu ihrer Kamera.
»Dürfen wir ein Foto von Ihrer Katze machen?«, fragte ihre Begleiterin höflich.
»Aber klar doch!«, gab ich zurück. Es freute mich, dass sie den Anstand hatten zu fragen.
»Wollt ihr vielleicht die neueste Ausgabe von The Big Issue kaufen? So als Beitrag für unser Abendessen.«
»Aber natürlich!«, versicherte mir das junge Mädchen fast verlegen, weil sie nicht selbst auf die Idee gekommen war.
»Wenn ihr kein Geld habt, ist es auch okay«, beeilte ich mich, sie zu beruhigen. »Keine Verpflichtung!«
Aber bevor ich weiterreden konnte, hatte sie mir schon eine Fünf-Pfund-Note in die Hand gedrückt.
»Oh, es tut mir leid, ich glaube ich kann nicht wechseln, ich habe eben erst angefangen.« Das war mir jetzt wirklich peinlich. Bestimmt glauben viele Leute, dass alle Verkäufer der Obdachlosen-Zeitschrift versuchen, so ihren Umsatz zu erhöhen. Aber ich hatte tatsächlich kaum Geld in der Tasche. Ich zählte ihr mein mageres Kleingeld auf die Hand. Es war weniger als 1 Pfund.
»Nein, nein!«, wehrte die kleine Amerikanerin ab. »Ich will kein Wechselgeld, bitte kauf deiner Katze davon heute Abend etwas Leckeres.«
Kaum waren die beiden weitergegangen, blieb schon die nächste Gruppe Touristen vor uns stehen. Es waren Deutsche, die Bob mit Babysprache und Streicheleinheiten überschütteten. Eine Zeitschrift kauften sie nicht, aber das war auch okay. Die zehn Exemplare würde ich auf jeden Fall verkaufen. Ich war sogar überzeugt, ich würde mir später bei Sam noch Nachschub holen können.
Tatsächlich hatte ich bereits nach einer Stunde sechs Zeitschriften verkauft. Die meisten Leute zahlten den korrekten Kaufpreis, aber ein älterer Gentleman in einem Tweed-Anzug gab mir auch fünf Pfund. Dieser Erfolg war die Bestätigung, die ich brauchte. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Natürlich war mir bewusst, dass es nicht immer so gut laufen würde und dass es auch in diesem Job gute und schlechte Tage geben würde. Aber ich hatte einen großen Schritt gewagt und etwas Neues angefangen.
Ich dachte nicht, dass dieser Tag noch besser werden könnte, aber zweieinhalb Stunden später wurde er noch durch ein Sahnehäubchen gekrönt. Ich hatte inzwischen acht Zeitschriften verkauft. Plötzlich bemerkte ich leichte Unruhe in der Bahnhofshalle. Kurz darauf entdeckte ich eine ganze Gruppe U-Bahn-Mitarbeiter, die wild gestikulierend die Halle durchquerten. Zwei von ihnen brüllten aufgeregt in ihre Walkie-Talkies.
Sofort musste ich daran denken, wie sie hinter mir her gewesen waren. Ob es wieder einen Zwischenfall gegeben hatte? Welchen armen Tropf hatten sie jetzt im Visier? Wen wollten sie diesmal ins Unglück stürzen? Aber die Panik der U-Bahn-Kontrolleure legte sich nach kurzer Zeit, und die Gruppe löste sich auf.
Just in diesem Moment entdeckte uns der große, schwitzende Fahrkartenkontrolleur am Ausgang. Im Eilschritt stürmte er aus der Halle.
Er bebte vor Wut. Sein Gesicht war rot angelaufen. Es heißt, Rache ist eine Delikatesse, die man kalt genießen soll. Ich blieb also ganz cool.
»Was, zum Teufel, tust du denn hier?«, brüllte er unbeherrscht. »Ich dachte, du schmorst im Knast! Du hast hier nichts verloren!«
Ich gab ihm keine Antwort. Stattdessen kramte ich langsam und genüsslich meinen Verkäuferausweis hervor. Dann
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