Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
Vom Netzwerk:
versucht, vorbeihastende Londoner zu überreden, sich von ihrem wertvollen Kleingeld zu trennen und mir ein Magazin abzukaufen. Das ging echt auf die Psyche – und nicht nur, weil ich damals noch ein Junkie war. Trotz freundlichster Bemühungen regnete es Beschimpfungen oder sogar den einen oder anderen Stoß in die Rippen. Der Job raubte mir den letzten Rest an Selbstwertgefühl.
    Aber damals gehörte ich ja auch noch zu den Unsichtbaren. Ich war nicht vorhanden. Wenn jemand versuchte, einen Bogen um mich zu machen, war das für mich schon ein Erfolgserlebnis, weil man mich wahrgenommen hatte. Die Idee mit der Straßenmusik war aus reiner Verzweiflung entstanden. Mit der Musik konnte ich die Menschen erreichen, sie auf mich aufmerksam zu machen. So wurde ihnen zumindest bewusst, dass ich ein atmendes, menschliches Wesen war – auch wenn ich nicht ihren Normen entsprach. Aber auch der Straßenmusiker wurde von den meisten Passanten ignoriert.
    Mit Bob war das Glück bei mir eingezogen. Er hat mir Erfolg als Straßenmusiker beschert und mir den Lebenswillen zurückgegeben. Ohne meinen kleinen Zauberkater hätte ich nie den Mut aufgebracht, es nochmals als Big-Issue -Verkäufer zu versuchen. Es gab nur ein kleines Problem: Ich musste meine ehemaligen Arbeitgeber davon überzeugen, mir noch mal eine Chance zu geben.
    Sam war tatsächlich noch da, an derselben Stelle in einer Seitenstraße, die von der Piazza in Covent Garden abgeht. An diesem Verteilerstandort treffen sich täglich die Big-Issue -Verkäufer der Umgebung, um ihre Zeitschriften zu erwerben. Es standen nur wenige Männer herum. Den einen oder anderen kannte ich sogar noch. Einer davon war Steve, der schon lange als Fahrer für das Magazin arbeitete. Ich habe ihn manchmal rund um Covent Garden gesehen, wenn er montags die neue Ausgabe der Big Issue ablieferte.
    Wir haben uns bei diesen seltenen Gelegenheiten eher misstrauisch beäugt als freundlich gegrüßt. Auch in diesem Moment hatte ich den Eindruck, dass er nicht gerade erfreut war, mich zu sehen. Aber das juckte mich nicht weiter. Schließlich war ich nicht seinetwegen hier, ich wollte Sam sprechen.
    Kaum hatte sie uns gesehen, begrüßte sie uns freundlich: »Hallo! Keine Straßenmusik heute?« Sie streckte die Hand nach Bob aus und kraulte ihn zwischen den Ohren.
    »Nein, ich hab die Gitarre an den Nagel gehängt«, antwortete ich, dankbar für dieses Stichwort. »Ich hatte ein bisschen Stress mit den Bullen. Wenn sie mich noch mal an nicht genehmigter Stelle erwischen, stecken sie mich in den Knast. Das kann ich nicht riskieren, ich muss mich doch um Bob kümmern, nicht wahr, Kumpel?«
    »Ooookeeey?«, war ihre vorsichtige Reaktion. Sie wusste sofort, worum es hier ging.
    »Und deshalb …«, zögerte ich und trat von einem Bein auf das andere, »… wollte ich mal fragen …«
    Sam erlöste mich mit einem Lächeln und den Worten: »Kommt drauf an, ob du die Bedingungen erfüllst.«
    »Aber ja«, freute ich mich, denn The Big Issue durfte nur von Bedürftigen verkauft werden. Das heißt, von Leuten, die nachweislich obdachlos sind oder in einer Sozialwohnung leben.
    »Die Formalitäten kann ich dir aber nicht ersparen«, sagte Sam. »Du musst in unser Büro in Vauxhall fahren, dich dort anmelden und den Papierkram erledigen!«
    »Kein Problem«, grinste ich.
    »Weißt du noch, wo das Büro ist?«, wollte sie wissen und drückte mir eine Visitenkarte in die Hand.
    »Bin nicht sicher«, gab ich zur Antwort, denn die Adresse auf der Karte war mir unbekannt. Wahrscheinlich war die Redaktion umgezogen.
    »Du nimmst den Bus bis Vauxhall und steigst am Bahnhof aus. Das Büro liegt schräg gegenüber in der Einbahnstraße neben dem Fluss«, erklärte sie mir. »Sobald du deinen Ausweis hast, kommst du wieder und wirst von mir eingewiesen.«
    Ich steckte die Visitenkarte in meine Jackentasche und fuhr mit Bob zurück nach Hause. »Jetzt müssen wir noch einiges organisieren, Bob«, erklärte ich meinem Rotpelzchen. »Wir haben ein Bewerbungsgespräch.«
    Dafür musste ich schnellstens die nötigen Papiere zusammensuchen. Vor allem brauchte ich eine Bestätigung vom Wohnungsamt. Da sollte ich mich sowieso regelmäßig melden. Ich erzählte meiner Sachbearbeiterin von meinen Schwierigkeiten mit der Polizei und was ich vorhatte. Sie stellte mir sofort die nötige Bescheinigung aus. Darüber hinaus schrieb sie mir eine persönliche Empfehlung: Ein Job wie der Verkauf der Obdachlosenzeitung würde mir helfen,

Weitere Kostenlose Bücher