Bob, der Streuner
beiden stehen blieben, um Bob zu hofieren. Sie schenkte mir daraufhin ein Lächeln, aber ihr Begleiter ignorierte mich weiter.
»So ein hübscher Kater«, sagte die Lady in Black. »Seid ihr schon lange zusammen?«
»Ja, ziemlich lange«, gab ich bereitwillig Auskunft. »Wir sind uns sozusagen auf der Straße begegnet.«
Ihr Begleiter zupfte plötzlich seine Brieftasche aus der Innentasche seiner Smokingjacke und drückte mir einen Zwanzig-Pfund-Schein in die Hand. Noch bevor ich mein Wechselgeld hervorholen konnte, winkte er ungeduldig ab. »Behalten Sie den Rest«, sagte er und sah seiner Begleiterin mit einem Lächeln tief in die Augen.
Der Blick, den sie ihm für seine Großzügigkeit schenkte, sprach Bände. Für mich sah es aus wie die erste Verabredung der beiden. Sonst wäre die elegante junge Dame von der Großzügigkeit ihres Begleiters nicht so beeindruckt gewesen.
Als sie weitergingen, sah ich hinter ihnen her. Zuerst lehnte sie sich beim Gehen gegen ihn und himmelte ihn an. Er legte daraufhin den Arm um ihre Schulter. Ob die Zuneigung der beiden echt war oder nicht, war mir egal. Weil er sie beeindrucken wollte, hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben 20 Pfund geschenkt bekommen. Das war echt abgefahren!
Nach ein paar Wochen am U-Bahnhof James Station wusste ich, dass dieser »schwierige« Standort für Bob und mich geradezu ideal war. Deshalb war ich sehr enttäuscht, als Sam mir mitteilte, dass sie uns einen anderen Platz zuteilen wollte.
Aber es wunderte mich nicht. In der großen Familie der Big-Issue -Verkäufer kriegt jeder mit, was der andere umsetzt. Die Listen mit den Einträgen, wer wie viele Zeitschriften einkauft, liegen am Standort der Bezirksleiter für jeden einsehbar herum. Jeder kann sich informieren, wer zehn, zwanzig oder noch mehr Exemplare pro Tag abnimmt. Somit kannten alle Kollegen auch meine Absatzzahlen der letzten Wochen an der Angel Station.
Es wurde schnell deutlich, dass mein Erfolg so manchem Kollegen ein Dorn im Auge war. Schon in der zweiten Woche wurden die anfangs freundlichen Kollegen immer zurückhaltender.
Unser neuer Platz war zum Glück immer noch in der Nähe der U-Bahn, jetzt aber vor einem Schuhgeschäft namens Size , an der Kreuzung Neal Street und Short’s Garden.
Ich hatte das Gefühl, dass besonders die alten Hasen unter den Kollegen nicht mehr gut auf Bob und mich zu sprechen waren, weil wir an einem von allen verpönten Ort so guten Umsatz machten. Aber ich hielt den Mund und beschwerte mich nicht über den Standortwechsel. »Wähle deine Kämpfe mit Bedacht, James«, sagte ich mir. Und wie sich herausstellte, war ich damit gut beraten.
14
Angeschlagen
D er Herbst in diesem Jahr war extrem kalt und nass. Die Bäume waren in kürzester Zeit kahl, weil Wind und Regen sie blitzschnell entblättert hatten.
Eines Morgens, als wir unseren Wohnblock verließen, um uns auf den Weg zur Bushaltestelle zu machen, hielt sich die Sonne versteckt und es nieselte leicht.
Bob hasst den Regen, und so schob ich die Lustlosigkeit, mit der er hinter mir her trottete, auf das Wetter. Langsam und vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, fast wie in Zeitlupe. Ich hatte den Eindruck, er wäre am liebsten zurück nach Hause gelaufen. Vielleicht stimmt es ja, dass Katzen schlechtes Wetter schon lange spüren, bevor wir es am Himmel aufziehen sehen , überlegte ich. Mein Blick nach oben schien das zu bestätigen. Eine gigantische, stahlgraue Wolkenbank hatte sich aufgebaut und hing wie ein gewaltiges Raumschiff aus einer unbekannten Galaxie über Nordlondon. Die würde bestimmt den ganzen Tag nicht aufreißen. Und wenn sie sich entlud, würde der Regen nur so auf uns herunterklatschen. Vielleicht sollte ich auf Bob hören und umdrehen, dachte ich kurz. Aber das Wochenende stand vor der Tür, und wir hatten noch nicht genug Geld, um dafür einzukaufen. Es heißt zwar: In der Not frisst der Teufel Fliegen, aber wir werden davon nicht satt , versuchte ich mich zu motivieren.
Ich war nie sonderlich glücklich darüber, auf den Straßen von London mein Geld verdienen zu müssen, aber an diesem Tag kostete es mich mehr Überwindung denn je. Bob kroch immer noch im Schneckentempo neben mir her, und wir kamen nicht voran.
Ich ging in die Knie und ermunterte ihn, auf meine Schulter zu springen: »Na komm, mein Freund, steig auf!«
Er kuschelte sich in meine Halsbeuge, und ich schleppte mich lustlos weiter zur Busstation Tottenham High Road. Der Regen wurde
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