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Bob, der Streuner

Bob, der Streuner

Titel: Bob, der Streuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bowen
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Einladung.
    »Würdest du mich über Weihnachten besuchen, wenn ich dir den Flug bezahle?«, wollte sie wissen. Außerdem schlug sie vor, einen Abstecher nach Melbourne zu meinen Paten zu machen, die wichtiger Bestandteil meiner Jugend gewesen waren.
    »Sag mir Bescheid«, beendete sie den Brief. »In Liebe, Mam.«
    Früher hätte ich diesen Brief sofort in den Müll geworfen. Ich war trotzig, störrisch und viel zu stolz, um ein Almosen meiner Familie anzunehmen. Aber ich hatte mich geändert. Mein Kopf war klar, ich sah das Leben jetzt mit anderen Augen, und ich konnte förmlich spüren, wie all die Wut und der Ärger, die ich so lange mit mir herumgeschleppt hatte, von mir abfielen. Ich wollte zumindest über ihr Angebot nachdenken.
    Ich machte mir die Entscheidung nicht leicht, denn es galt, die Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Natürlich wäre es fantastisch, meine Mutter wiederzusehen. Egal, welche Probleme wir über die Jahre miteinander gehabt hatten, sie war meine Mutter, und ich vermisste sie sehr.
    Seit ich abgerutscht und auf der Straße gelandet war, hatten wir nur noch wenig Kontakt. Ich war auch nie ehrlich zu ihr gewesen; sie hatte keine Ahnung, was aus mir geworden war. In den letzten zehn Jahren hatten wir uns nur einmal getroffen, im Jahr 2000, als sie kurz in England gewesen war. Da hatten wir uns in einem Pub in Epping Forest getroffen und fast vier Stunden miteinander verbracht.
    Als ich vor zehn Jahren nach der vereinbarten Zeit nicht zurück nach Australien gekommen war, hatte ich für sie eine Geschichte erfunden: Ich könne nicht nach Hause kommen, weil ich eine Band gegründet hätte und wir gerade versuchten »groß rauszukommen«.
    Dabei blieb ich auch, als ich sie Jahre später wiedertraf. Ich fühlte mich schrecklich, ihr diese Lügenmärchen aufzutischen, aber ich hatte weder den Mut noch die Kraft, ihr zu gestehen, dass ich obdachlos und heroinabhängig war und nichts anderes tat, als mein Leben zu vergeuden.
    Ich hatte keine Ahnung, ob sie mir glaubte. Damals war mir alles egal. Danach rief ich sie nur noch selten an und meldete mich oft monatelang nicht bei ihr, obwohl ich wusste, dass sie sich Sorgen machte.
    Manchmal hat sie Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um mich zu erreichen. Wie nach den Bombenanschlägen am 7. Juli 2005. Zum Glück war ich nicht in der Nähe gewesen, aber meine Mutter – am anderen Ende der Welt – hatte davon natürlich keine Ahnung. Ich kam nicht auf die Idee, sie deshalb anzurufen. Ihr Lebensgefährte Nick arbeitete damals bei der Polizei in Tasmanien. Irgendwie hat er es geschafft, einen Londoner Kollegen zu überreden, nach mir zu suchen. Über die Polizeiakten fanden sie meinen Aufenthaltsort heraus und schickten zwei Polizisten in meine Notunterkunft in Dalston.
    Sehr früh morgens trommelten sie mit den Fäusten an meine Tür und erschreckten mich fast zu Tode.
    »Keine Angst, Sie haben nichts verbrochen«, beschwichtigte mich einer der beiden, als ich die Tür öffnete. Ich war noch ganz verschlafen, aber die Furcht stand mir trotzdem ins Gesicht geschrieben. »Es gibt da zwei Menschen auf der anderen Seite der Erde, die wissen möchten, ob Sie noch leben.«
    Ich wollte schon sagen, dass ich eben fast vor Schreck gestorben wäre, aber dann verkniff ich mir diesen Kommentar. Die beiden wirkten nicht gerade erfreut über ihren Suchauftrag. Stattdessen kontaktierte ich meine Mutter und versicherte ihr, dass es mir gut ging. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sich irgendjemand meinetwegen Sorgen machen könnte. Ich war damals wohl ziemlich gedankenlos und egozentrisch. Ich war ausschließlich mit meinem Überlebenskampf beschäftigt. Das war inzwischen anders.
    Nach all den Jahren, die ich meine Mutter vernachlässigt und hintergangen hatte, war diese Einladung meine Chance, etwas wiedergutzumachen. Die Zeit war gekommen, ihr endlich die Wahrheit zu sagen.
    Außerdem würde mir nach all den Jahren in London und der ständigen Nachtarbeit ein Urlaub in der Sonne extrem guttun. Die Umstellung auf das neue Medikament hatte doch an meinen Kräften gezehrt. Ein paar Wochen in wärmeren Gefilden wären schon eine gute Sache. Meine Mutter hatte geschrieben, dass sie auf einem kleinen Bauernhof mit vorbeifließendem Bach im Niemandsland wohnte. Welch herrlicher Kontrast zur Großstadt London! Australien, oder besser gesagt: die Schönheit der australischen Landschaft, hatte mich schon als Kind tief beeindruckt. Eine Rückkehr dahin

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