Bob und wie er die Welt sieht
noch mal die Rangordnung klar. Als Prinzessin an die Wasserschüssel wollte, die ich ihr hingestellt hatte, fauchte und knurrte er so laut, dass die Hündin erschrocken zurückwich. Erst als er seine Milch aufgeschleckt hatte, durfte Prinzessin an ihr Wasser.
Aber danach arrangierten sich die beiden schneller, als ich dachte. Bob war so zufrieden mit seiner neuen Freundin, dass sie sogar die Reste aus seinem Futternapf ausschlabbern durfte.
Das war’s dann wohl , dachte ich noch. Aber ich hatte mich geirrt.
*
Ich war so kaputt, dass ich schon um zehn vor dem Fernseher einschlief. Als ich aufwachte, wünschte ich mir nichts sehnlicher als eine Videokamera. Bestimmt hätte ich damit bei den Sendungen, die süße und verrückte Tierclips präsentieren, viel Geld verdienen können.
Bob und Prinzessin lagen lang ausgestreckt und einträchtig nebeneinander auf dem Teppich und schliefen. Als ich mich vor zwei Stunden auf die Couch gesetzt hatte, hatten sie noch gebührenden Abstand voneinander gewahrt: Bob lag an seinem Lieblingsplatz an der Heizung und Prinzessin am anderen Ende der Wohnung an der Eingangstür. Nachdem ich eingeschlafen war, muss Prinzessin auf der Suche nach Wärme immer näher an die Heizung gerückt sein. Jetzt lag ihr Kopf nur noch zehn Zentimeter von Bobs Nase entfernt. Es sah aus, als wären die beiden schon ihr Leben lang befreundet. Ich schloss die Wohnungstür ab, machte das Licht aus und ging ins Bett. Bis zum nächsten Morgen hörte ich keinen Mucks mehr von den beiden. Allerdings wurde ich dann von aufgeregtem Bellen geweckt.
Ich brauchte einen Moment, um mich daran zu erinnern, dass ich einen Besuchshund hatte.
»Prinzessin, was ist los?«, fragte ich schlaftrunken.
Es heißt ja, dass manche Tiere spüren, wenn ihr Besitzer in der Nähe ist. Wenn meine Freundin Belle bei uns zu Besuch ist, bleibt Bob manchmal mit ihr zu Hause. Sie hat mir erzählt, dass er meine Rückkehr immer anzeigt. Er springt dann auf das Fensterbrett und schaut erwartungsvoll auf die Straße, noch bevor ich unten klingle.
Prinzessin hatte scheinbar auch diese Gabe. Nur wenige Minuten später klingelte es an der Tür. Es war Titch. Seinem unrasierten und zerknautschten Gesicht nach zu urteilen, hatte er auf der Straße geschlafen. Das kam bei Titch schon mal vor.
»Tut mir so leid, dass ich dich gestern Abend hab hängen lassen, aber mir ist was dazwischengekommen«, entschuldigte er sich zerknirscht. Ich sparte mir weitere Fragen. Früher hatte ich mehr solche Nächte erlebt, mehr als mir lieb war.
Also machte ich ihm Tee und Toast. Etwas Warmes im Bauch würde ihm guttun.
Bob lag an der Heizung auf dem Boden und betrachtete seine neue Freundin Prinzessin, die sich ganz unbekümmert neben ihm zusammengerollt hatte. Als Titch diese Idylle bemerkte, staunte er nicht schlecht.
»Schau sie dir an, sie verstehen sich blendend!«, grinste ich.
»Ja, ich seh’s, aber ich kann es kaum glauben«, staunte er.
So eine Gelegenheit ließ sich Titch nicht entgehen.
»Heißt das, du würdest mal wieder auf mein Mädchen aufpassen, wenn nötig?«, nuschelte er mit vollem Mund.
»Ja, warum nicht?«, gab ich zurück.
5
Ein Geist im Treppenhaus
I n den letzten Tagen hatte es ununterbrochen geregnet. Die Straßen von London hatten sich in kleine Bäche verwandelt. Wenn wir abends zurück nach Hause kamen, waren Bob und ich immer total durchnässt. An diesem Tag gab ich früh auf und machte mich mit Bob auf den Heimweg.
Gegen vier Uhr nachmittags erreichten wir unseren Wohnblock. Ich konnte es kaum erwarten, meine nassen Sachen auszuziehen und Bob an die warme Heizung zu lassen.
Unser Aufzug war schon immer unzuverlässig gewesen. Erst nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn über den Liftknopf nach unten zu holen, kapierte ich, dass er mal wieder streikte.
»Na, super«, murrte ich genervt. »Tut mir leid, Bob! Wir müssen mal wieder zu Fuß nach oben.«
Sein Blick war genauso verzweifelt, wie ich mich fühlte.
Ich beugte mich zu ihm hinunter und lud ihn ein, auf meine Schulter zu klettern.
»Na, komm schon!«
Wir waren gerade zwischen dem vierten und fünften Stock unterwegs, als mir in einer dunklen Ecke auf dem letzten Treppenabsatz der Umriss eines Menschen auffiel.
»Du bleibst lieber hier, Bob«, flüsterte ich und setzte ihn auf der Treppe ab, um allein weiterzugehen.
Beim Näherkommen sah ich, dass es ein Mann war, der an der Wand lehnte. Er krümmte sich nach vorn, seine Hose war halb
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