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Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bown
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aktivieren, sollte ich die berühmte Druckmassage auf seinen Brustkorb ausüben. Dazu musste ich ihn wieder auf den Rücken drehen. Zwischendurch versuchte ich immer wieder, ihn durch Mund-zu-Mund-Beatmung weiter mit Sauerstoff zu versorgen.
    Ich presste meine Hände stoßweise auf seinen Brustkorb und zählte dabei. Bei 30 hörte ich auf, um zu sehen, ob sich sein Zustand verändert hatte.
    Die Dame in der Notrufzentrale war immer noch dran. »Und? Reagiert er?«, fragte sie.
    »Nein, nichts! Er atmet immer noch nicht«, rief ich ins neben mir liegende Telefon. »Ich versuche es noch mal.«
    Verzweifelt presste ich abwechselnd meine Hände mit dem gesamten Gewicht meines Oberkörpers auf seinen Brustkorb und pumpte Luft in seinen Mund. Die Zeit schien stillzustehen. Später habe ich mich darüber gewundert, wie ruhig und sachlich ich ihre Befehle ausführte. Ich habe schon oft gehört, dass das Gehirn in solchen Fällen auf Automatik umschaltet. Die Gefühlsebene war wie ausgeblendet. Ich konzentrierte mich nur auf mein Ziel – diesen Menschen wieder zum Atmen zu bringen. Aber meine Bemühungen waren umsonst.
    Es gab einen winzigen Moment der Hoffnung, als er plötzlich einen gurgelnden Schnarchlaut von sich gab. Aber dann fiel mir der Begriff »Todesröcheln« ein, den ich mal irgendwo gelesen hatte. Ein Geräusch, das Menschen bei ihrem letzten Atemzug von sich geben. Ich wollte diesen Gedanken zwar nicht zulassen, aber im Hinterkopf hockte die Ahnung, dass ich genau das in diesem Moment gehört haben könnte.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich endlich das lang ersehnte Klingeln meiner Türglocke. Ich stürzte an die Gegensprechanlage.
    »Hier ist der Notarzt«, sagte eine Stimme. Erleichtert drückte ich auf den Knopf und bat sie in den fünften Stock. Zum Glück hatte unser launischer Aufzug in der Zwischenzeit seinen Dienst wieder aufgenommen. Der Notarzt und sein Assistent waren nur wenige Sekunden später da. Sie knallten ihre Notfall-Ausrüstung auf den Boden und holten ohne Zeitverschwendung den Defibrillator hervor. Dann schnitten sie sein T-Shirt vorne auf.
    »Treten sie bitte zurück, Mister … äh … wir übernehmen jetzt.«
    In den nächsten fünf Minuten taten sie ihr Möglichstes, um ihn zurückzuholen. Aber sein Körper blieb schlaff und leblos. Während ich die gespenstische Szene von meiner Wohnungstür aus beobachtete, setzte bei mir der nachträgliche Schock ein. Plötzlich zitterte ich am ganzen Körper.
    Irgendwann sackte einer der beiden Notärzte in sich zusammen.
    »Keine Chance, er ist tot«, sagte er zu seinem Kollegen. Langsam, ja fast widerstrebend bedeckten sie den Toten mit einer silbernen Foliendecke und packten ihre Geräte weg.
    Ich wollte es nicht wahrhaben. Meine innere Anspannung verpuffte schlagartig, und ich fühlte mich nur noch müde und ausgelaugt.
    Die Notärzte sahen sich nach mir um: »Geht es Ihnen gut?«
    »Ich glaube, ich muss mich nur mal kurz hinsetzen«, wehrte ich ab.
    Bob hatte sich die ganze Zeit nicht blicken lassen. Aber in diesem Moment kam er an die Wohnungstür, als hätte er gespürt, wie schlecht es mir ging.
    »Komm her, Bob«, sagte ich beschwichtigend und hob ihn hoch. »Ich bring dich wieder rein.« Er sollte den leblosen Körper im Flur nicht sehen. Er hatte zwar schon ähnliche Szenarien in der Innenstadt von London mitbekommen, aber hier zu Hause wollte ich ihm diesen Anblick ersparen.
    Ein paar Minuten später klopfte es. Die Polizei und ein paar Sanitäter waren eingetroffen, und vor meiner Tür stand ein junger Polizist.
    »Ich habe gehört, sie haben den Mann gefunden und die 112 angerufen?«, kam er gleich zur Sache.
    »Ja«, antwortete ich und riss mich zusammen. Wie aufgewühlt ich wirklich war, ging nur Bob und mich etwas an.
    »Sie haben ihr Möglichstes getan. Mehr war leider nicht drin«, versicherte er mir.
    Ich erzählte ihm, wie ich den Mann auf dem Treppenabsatz entdeckt hatte und wie er auf dem Weg zum Aufzug zusammengebrochen war.
    »Das Zeug hat ihn schon nach wenigen Minuten umgehauen«, erklärte ich ihm und gab gleich freiwillig mit an, dass ich selbst früher drogenabhängig gewesen bin. Damit wollte ich jegliche Verdächtigungen aus dem Weg räumen. Er sollte nicht auf die Idee kommen, dass ich auch nur das Geringste mit dem Mann zu tun haben könnte.
    Die Polizei kannte sich aus mit Süchtigen, aber ich auch. Sie denken immer nur an sich. Sie sind so selbstsüchtig, dass sie ihre eigene Großmutter verkaufen

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