Bob und wie er die Welt sieht
eine Art Spritze, die das Verabreichen der Tablette erleichtern sollte.
»Wie lange wird es dauern, bis wir diese Plage los sind?«, wollte ich noch wissen.
»Nur ein paar Tage, James«, antwortete er. »Sollte es länger dauern, müsst ihr nächste Woche wiederkommen.«
Als ich Bob vor einigen Jahren verletzt fand, hatte ich ihm Antibiotika-Tabletten verabreichen müssen. Dafür gab es keine Hilfsmittel. Ich musste sie ihm tief in den Rachen stecken und danach so lange seine Kehle kraulen, bis die Tablette durchgerutscht war. Die Spritze vereinfachte diesen Prozess. Trotzdem war viel gegenseitiges Vertrauen nötig, um einem Tier so ein Ding tief in den Rachen stecken zu können.
Als ich abends in der Küche seine Medizin hervorholte, beäugte Bob die Spritze misstrauisch. Aber er wusste, dass ich ihm nie wehtun würde. Brav ließ er sich die Spritze ins Mäulchen schieben und ich konnte die Tablette tief in seinen Hals schießen. Mit der anderen Hand kraulte ich bereits seine Kehle. Bob wusste, dass ich ihn nicht grundlos unangenehmen Prozeduren aussetzen würde.
Wie der Arzt es vorausgesagt hatte, war Bob nach wenigen Tagen wieder ganz der Alte. Sein Heißhunger war wie weggeblasen, sein Fressverhalten und sein Aussscheidungsrhythmus hatten sich normalisiert.
Mir persönlich erteilte ich einen gehörigen Rüffel für Bobs Erkrankung. Ich hatte mit ihm eine Verantwortung übernommen, die mir bisher immer sehr viel positive Kraft gegeben hatte. Aber ich war nachlässig geworden, und das war unverzeihlich. Schließlich ist ein Haustier kein Gelegenheitsjob, den man nur macht, wenn man Lust dazu hat.
Die Sache war besonders ärgerlich, weil Bob nicht zum ersten Mal wegen seiner Vorliebe für Müll krank geworden war. Erst vor einem Jahr hatte er sich mit ähnlichem Ergebnis die Müllcontainer im Hof unseres Häuserblocks vorgenommen.
Ich nahm mir fest vor, nie wieder zu vergessen, die Mülltüte in den Gang zu stellen. Wie dumm war ich eigentlich? Ich konnte nicht glauben, dass mir das passiert war. Schließlich kannte ich Bob lange genug. Er war nicht nur neugierig, sondern auch schlau. Da konnte ein Müllsack noch so gut verschnürt sein, der Müllinspektor würde immer eine Lösung finden, um ihn zu öffnen.
In erster Linie war ich jedoch erleichtert, dass es Bob wieder gut ging. Es kam so selten vor, dass er schwächelte oder krank war. Deshalb befürchtete ich wohl immer gleich das Schlimmste, wenn es um seine Gesundheit ging.
Auch wenn das jetzt sehr übertrieben und dramatisch klingt: Ich habe in den letzten Tagen versucht, mir vorzustellen, wie es wäre, wenn Bob stirbt und ich ohne ihn weiterleben müsste. Allein der Gedanke macht mir solche Angst, dass ich es nicht schaffte, ernsthaft darüber nachzudenken.
Ich sage zwar immer, dass Bob und ich Seelenverwandte sind und wir uns gleichermaßen brauchen. Aber ganz tief in meinem Herzen weiß ich, dass es nicht so ist. Ich habe mir längst eingestanden, dass ich ihn viel mehr brauche als er mich.
7
Die Katze auf dem Dach
B ob und ich waren schon immer ein auffälliges Paar. Nicht einmal in London gibt es viele Eins-fünfundachtzig-Kerle, die mit einer roten Katze auf der Schulter durch die Stadt spazieren. Da drehen sich die Leute schon mal um.
Im Sommer 2009 waren wir allerdings noch abenteuerlicher unterwegs. Leider litt ich damals unter höllischen Schmerzen, sodass ich all die Aufmerksamkeit, die wir erregten, kaum mitbekam.
Es begann nach meiner Rückkehr aus Australien, wo ich meine Mutter besucht hatte. Die Beziehung zwischen uns beiden war schon immer schwierig gewesen, und in den vergangenen zehn Jahren hatten wir uns komplett entfremdet. Außer bei einem kurzen Besuch in London hatte ich sie zum letzten Mal am Flughafen gesehen, als ich mit achtzehn Jahren von Australien nach England ging, um Musiker zu werden. Seit ich in London lebe, hatten wir kaum Kontakt. Aber die Zeit und Bob haben die alten Wunden verblassen lassen, und als sie anbot, mir ein Flugticket nach Tasmanien zu bezahlen, um sie zu besuchen, zögerte ich nicht lange. Es war der perfekte Zeitpunkt, ihr Angebot anzunehmen.
Mit Bobs Hilfe hatte ich gerade einen großen Durchbruch errungen, nämlich den Methadon-Entzug. Das hatte mich mehr Kraft gekostet, als ich zugeben wollte. Ich fühlte mich müde und schwach, ein Urlaub würde mir guttun. Bob blieb in dieser Zeit bei meiner Freundin Belle, die im Stadtteil Hoxton wohnte, ebenfalls im Norden von London.
Die langen
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