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Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bown
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Hin- und Rückflüge hatten mich körperlich ziemlich mitgenommen. Die Risiken von Langstreckenflügen, wo man stundenlang in engen Sitzreihen eingepfercht ausharren muss, waren mir hinreichend bekannt. Eine besondere Qual, wenn man so groß ist wie ich. Natürlich hatte ich versucht, so oft wie möglich im Flieger herumzuwandern, um meine verkrampfte Sitzhaltung aufzulockern. Trotzdem brachte ich einen unangenehm schmerzenden Oberschenkel mit nach Hause.
    Anfangs waren die Schmerzen noch auszuhalten, und ich konnte sie mit frei verkäuflichen Tabletten betäuben. Aber mit der Zeit wurden sie immer schlimmer. Meine Beinmuskeln verkrampften sich so sehr, dass ich das Gefühl hatte, als würde kein Blut mehr durch meinen Oberschenkel rinnen. Ich weiß, dass man als Lebender keine Totenstarre spüren kann, aber es fühlte sich trotzdem an, als hätte ich das Bein eines Zombies.
    Bald konnte ich weder normal sitzen noch liegen. Wenn ich es versuchte, wurden die Muskelkrämpfe unerträglich. Also musste ich beim Fernsehen und sogar beim Essen das Bein hochlagern. Beim Schlafen legte ich es auf den erhöhten Fußteil meines Bettes.
    Ich war deswegen zweimal beim Arzt, aber mehr als ein Schulterzucken und stärkere Schmerztabletten habe ich nicht bekommen. Als ich noch heroinabhängig war, habe ich meinen Körper systematisch zerstochen. An den unmöglichsten Stellen habe ich mir Spritzen gesetzt, sogar in die Leisten. Wahrscheinlich ist der Arzt davon ausgegangen, dass meine Schmerzen die Quittung für den Missbrauch meines Körpers in der Vergangenheit waren. Vielleicht habe ich mich auch nicht klar genug ausgedrückt. Ein Teil von mir ist immer noch daran gewöhnt, übergangen zu werden. Der arrogante Blick des Arztes machte mich wieder zu dem unsichtbaren Obdachlosen, der nicht mehr war als ein lästiges Problem für seine Mitmenschen.
    Mein größtes Problem war, dass ich weiterhin Geld verdienen musste. Trotz der immensen Schmerzen quälte ich mich jeden Morgen aus dem Bett, um mich zur U-Bahn-Haltestelle Angel zu schleppen.
    Leicht war das nicht. Kaum setzte ich meinen Fuß auf dem Boden auf, schoss mir der Schmerz wie ein Elektroschock in den Oberschenkel. Mehr als drei bis vier Schritte am Stück konnte ich nicht laufen. Der Weg zur Bushaltestelle wurde so anstrengend wie ein Marathonlauf, nur dass ich dafür zwei- bis dreimal so lange brauchte wie sonst.
    Bob wusste auch nicht, was er von meinem Schneckentempo halten sollte. »Was machst du denn da?«, fragte sein Blick. Aber er hat schnell begriffen, dass es mir nicht gut ging, und passte sich den neuen Gepflogenheiten an. In der Früh weckte er mich nicht mehr in allen Miau-Tonarten, er verzichtete auf Stupser und bettelnde Blicke. Wenn ich die Augen aufschlug, stand er über mir und studierte besorgt mein Gesicht.
    »Na, geht es dir heute besser?«, sollte das wohl heißen.
    Auch auf dem Weg zur Arbeit nahm er Rücksicht auf mich. Er lief jetzt viel öfter neben mir her als sich tragen zu lassen. Dabei bevorzugte er besonders in der Stadt das Oberdeck, wie ich es nannte, als Fortbewegungsmittel. Aber damals trottete er geduldig neben mir her, solange es nur ging. Er wusste einfach, dass sein Gewicht auf meiner Schulter die Schmerzen beim Auftreten noch verstärkten.
    Wenn er der Meinung war, ich hätte mich lange genug vorangequält, versuchte er sogar, mich zum Hinsetzen zu bewegen. Er lief mir dann vor die Füße und zog mich an der Leine zu einer Bank oder einer Mauer, weil ich mich ausruhen sollte. Ich dagegen wollte lieber schneller ans Ziel kommen, als alle paar Minuten eine Pause einzulegen. Für eine Weile wurde aus diesem Spiel ein kleiner Machtkampf zwischen uns beiden Sturschädeln.
    Für die Anwohner in Tottenham waren unsere Zwiegespräche bestimmt ein unterhaltsamer Anblick. Sobald ich aufstöhnte, warf mir Bob seinen »Verschnaufpause«-Blick zu, den ich aber meist mit einem »Nein, Bob, wir müssen weiter« beantwortete. Wären meine Schmerzen nicht so unerträglich gewesen, hätte ich seine Fürsorge wahrscheinlich auch als amüsant empfunden. Wir sahen wohl aus wie ein altes Ehepaar im vertrauten Streitgeplänkel.
    Irgendwann wurde mir trotzdem alles zu viel. Zu oft funktionierte der Aufzug nicht, wenn ich völlig erledigt nach Hause kam. Der Aufstieg in die fünfte Etage war eine Qual und dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Also zog ich vorübergehend zu Belle.
    Das hatte gleich mehrere Vorteile: Ihre Wohnung lag im ersten Stock und nicht im

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