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Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bown
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fünften. Auch der Weg zur Arbeit war nicht mehr so mühsam, da die nächste Bushaltestelle nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt war. Von Einkaufen, Haushalt und Kochen ganz zu schweigen.
    Nun hatte ich mir zwar den Alltag erleichtert, aber meine Schmerzen im Bein linderte das nicht. Inzwischen konnte ich kaum noch auftreten. Meine Angst vor jedem einzelnen Schritt wurde so groß, dass ich eines Tages beschloss, mir eine Krücke zu basteln. Deshalb ging ich eines Morgens mit Bob in den kleinen, hübschen Park ganz in der Nähe von Belles Wohnung. Schnell fand ich, was ich gesucht hatte: Einen starken Ast von einem gefällten Baum, der genau unter meinen Arm passte. So konnte ich beim Laufen mein Gewicht auf der Seite des schmerzhaften Beins abstützen. Schon nach ein paar Übungsschritten hatte ich den Bogen raus. Mithilfe der Krücke kam ich wieder gut voran.
    Verständlicherweise ernteten wir viele ungläubige Blicke. Mit meinen langen Haaren, dem zotteligen Bart und Stock sah ich wohl aus wie ein modernisierter Merlin oder Gandalf aus der Herr der Ringe- Trilogie. Und als ob mein Anblick noch nicht schräg genug war, saß auch noch eine rote Katze in meinem Nacken. Da mag so manchem Passanten die Fantasie durchgegangen sein. Vielleicht dachten sie, sie hätten eine Begegnung der anderen Art: mit einem Hexenmeister und seinem Medium. Aber ich war an einem Punkt angelangt, wo es mir völlig egal war, wofür man uns hielt. Für die Linderung der Schmerzen hätte ich alles getan.
    Jeder noch so kurze Fußweg war ein Martyrium. Schon nach wenigen Schritten brach ich fast zusammen und musste mich hinsetzen. Ich habe es auch mit dem Fahrrad versucht, aber das ging gar nicht. Mit dem Fuß Druck auf das Pedal auszuüben war genauso unmöglich wie aufzutreten. Und so verstaubte unser Bob-Mobil auf dem Flur vor unserer Wohnung in Tottenham.
    Bob spürte natürlich, wie schlecht es mir ging. Aber er schien auch manchmal die Geduld mit mir zu verlieren. Wenn ich morgens mein schmerzendes Bein mühsam in die Hose manövrierte, hatte er nur noch einen vernichtenden Blick für mich übrig: »Warum lässt du es nicht einfach? Warum bleibst du nicht im Bett?« Aber die Antwort war und blieb dieselbe: Ich hatte keine Wahl, denn ohne Arbeit kein Geld.
    Aus unserer täglichen Routine wurde fast unerträgliche Pflicht. Wir nahmen den Bus bis Islington Green, dann liefen wir bis zu dem kleinen Park, wo Bob seine Gassirunde drehte. Von dort aus humpelte ich weiter zum Vertriebsleiterstand der Big Issue , gleich neben Starbucks. Danach überquerten wir die Hauptstraße und liefen Richtung U-Bahn-Station zu unserem Verkaufsplatz.
    Ich weiß nicht, wie ich die täglichen fünf bis sechs Stunden im Stehen überstanden hätte. Wahrscheinlich wäre ich irgendwann umgekippt. Zum Glück hatte einer der Blumenhändler an der U-Bahn-Haltestelle mitbekommen, wie schlecht es mir ging. Er brachte mir zwei Eimer, in denen er normalerweise seine Schnittblumen anbietet, und hielt sie mir einladend hin: »Schau mal, James, da kannst du dich draufsetzen. Und der zweite ist für Bob.« Dabei klopfte er mir aufmunternd auf die Schulter, drehte sich um und marschierte zurück zu seinem Blumenstand.
    Ich war ihm wirklich dankbar, denn mit dieser Idee hatte er mir den Job gerettet.
    Zuerst befürchtete ich, dass sich meine Sitzposition negativ auf unser Geschäft auswirken könnte. (Die Leute lachten immer, wenn ich das Verkaufen der Big Issue als Geschäft bezeichnete, aber genau das war es. Man musste die Zeitschriften vom Großhändler kaufen, um sie als Verkäufer vertreiben zu dürfen. Außerdem brauchte man ein feines Gespür für die wöchentliche Kalkulation von Lagerbestand und Budget. Im Prinzip war das nichts anderes als die Leitung eines Großkonzerns, und das Risiko war genauso hoch, wenn nicht sogar höher. Bei Erfolg kann man überleben, aber wenn man falsch kalkuliert, verhungert man.) Normalerweise lief ich auf dem Platz vor der U-Bahn-Station auf und ab und beschwatzte und umschmeichelte die Passanten, damit sie ihr hart verdientes Geld hervorkramten, um eine Zeitschrift zu kaufen. Ich hatte Panik, dass mich die Leute einfach übersehen könnten, wenn ich auf dem Eimer saß.
    Doch ich hätte es besser wissen müssen. Bob nahm sich der Sache an.
    Vielleicht lag es daran, dass wir nun den ganzen Tag Seite an Seite dasaßen. Jedenfalls versprühte Bob nur noch gute Laune und entwickelte sich in dieser Zeit zu einem richtigen kleinen

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