Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bob und wie er die Welt sieht

Bob und wie er die Welt sieht

Titel: Bob und wie er die Welt sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Bown
Vom Netzwerk:
nach oben. Seine Haltung sagte alles: »Mit dir kann man überhaupt keinen Spaß haben!«
    *
    Obwohl es uns bei Belle so gut ging, war das keine Dauerlösung. Vor allem wegen meiner Beziehung zu Bob.
    Durch die ständigen Schmerzen reagierte ich schnell gereizt und war generell nicht gut drauf. So kam es, dass Bob und ich immer weniger Zeit miteinander verbrachten. Er hatte sich damit abgefunden, dass ich länger schlief und bereits mit schlechter Laune aufwachte. Immer seltener kam er für unser morgendliches Spielritual zu mir ins Schlafzimmer. Meist bekam er sein Frühstück von Belle, lange bevor ich aufwachte. Danach verschwand er durch das Fenster in den Hinterhof und ging auf Entdeckungstour. Er war oft stundenlang unterwegs und hatte bestimmt viel Spaß da draußen.
    Manchmal regte sich in mir der Verdacht, dass er einen zweiten Futterplatz gefunden haben könnte. Er kam immer öfter erst spät abends von seinen Ausflügen auf die Dächer und in den Hinterhof zurück. Wenn Belle oder ich ihm dann sein Futter hinstellten, spielte er nur damit herum. Er frisst bestimmt wieder Zeug aus dem Müll , dachte ich. Daraufhin begutachtete ich zusammen mit Belle die Müllcontainer hinter ihrem Wohnhaus, und wir kamen zu dem Schluss, dass unser kleines Rotpelzchen keine Chance hatte, einen der riesigen, abgeschlossenen Behälter zu knacken. Es musste eine andere Erklärung für seine Appetitlosigkeit geben.
    Eines Tages, als Bob und ich gerade das Haus verließen, um zur Arbeit zu gehen, trafen wir einen älteren Mann, der gerade seine Post aus dem Briefkasten am Eingang holte. Er schien Bob zu kennen.
    »Hallo, mein Junge«, begrüßte ihn der Mann. »Schön, dich wiederzusehen.« Plötzlich ergab alles Sinn. Mir fiel das englische Kinderbuch Six Dinner Sid von Inga Moore ein. Es handelt von einer Katze, die mit ihrem Charme eine ganze Straße um den Finger wickelt und in sechs Häusern jeden Abend gefüttert wird. Bob hat offenbar dasselbe getan. Er war Six Dinner Sid.
    Das waren alles nur Zeichen, dass Bob sich in dieser Umgebung wohlfühlte. Aber es zeigte auch, dass ich nicht mehr der Mittelpunkt seines Lebens war und er auch ohne mich gut zurechtkam. In dieser Nacht, als ich in meinem Bett lag und über alles Mögliche nachdachte, nur um mich von dem pulsierenden Schmerz in meinem Bein abzulenken, stellte ich mir eine Frage, die ich mir in all den Jahren unseres Zusammenlebens noch nie gestellt hatte: Wäre Bob ohne mich besser dran?

    Die Frage war berechtigt. Wer will schon mit einem hinkenden Ex-Junkie ohne Geld oder Aussicht auf einen festen Job abhängen? Wer will schon bei jedem Wetter auf der Straße sitzen und sich von Fremden knuffen und betatschen lassen? Vor allem, wenn man die Wahl hat. Rund um Belles Wohnung gab es viel nettere und weniger komplizierte Menschen, die mehr als gewillt waren, ihm seine tägliche Futterration hinzustellen.
    Bisher war ich immer der Meinung gewesen, ich könnte Bob ein ebenso gutes, wenn nicht besseres Leben bieten wie jeder andere. Wir waren doch Seelenverwandte, aus einem Holz geschnitzt. Aber zum ersten Mal, seit wir uns gefunden hatten, war ich mir da nicht mehr so sicher.



8
Keiner ist blinder …
    U nfassbar, was Schmerzen mit dem menschlichen Verstand anstellen können. Besonders nachts, wenn man im Bett liegt und nicht schlafen kann. Dann rotieren die Gedanken, und man kommt auf die verrücktesten Ideen. So habe ich mir eines Nachts ernsthaft überlegt, mir das Bein amputieren zu lassen. Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit einer Prothese zu leben anstatt mit diesem unaufhörlich pochenden, geschwollenen Bein. Es war ein tröstlicher Gedanke.
    Ein anderes Mal humpelte ich gerade über den Parkplatz eines Supermarktes, als mir ein leerer Rollstuhl ins Auge stach. Ein Mann war gerade dabei, eine hydraulische Rampe aus dem Heck eines Minivans herunterzulassen, wahrscheinlich, um dem Rollstuhlfahrer das Aussteigen zu erleichtern. Eine Fortbewegungsart, ohne mein Bein belasten zu müssen – der Traum meiner schlaflosen Nächte! Nur für einen Augenblick ließ ich die Versuchung in mir aufsteigen, den Rollstuhl zu stehlen. Aber dann habe ich mich sofort ganz schrecklich geschämt für diesen Gedanken.
    In meinen schlaflosen Nächten und fast wahnsinnig vor Schmerzen, machte ich mir auch immer öfter Gedanken über Bob, oder besser gesagt darüber, wie es wäre, ihn zu verlieren. Je schlimmer mein Bein wurde, desto sicherer war ich, dass ich ihn tatsächlich verlieren

Weitere Kostenlose Bücher