Bob und wie er die Welt sieht
nächsten Monaten täglich selbst in den Bauch spritzen sollte.
Mir fielen gleich mehrere Gründe ein, warum ich das überhaupt nicht machen wollte. Zuerst einmal war das Spritzen direkt in die Bauchmuskulatur eine ziemlich schmerzhafte Angelegenheit. Ich spürte richtig, wie sich der Inhalt der Spritze in meinem Bauchgewebe verteilte. Zweitens wurde ich auf diese Weise schon wieder mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Allein der Gedanke, dass ich wieder täglich mit Spritze und Nadel hantieren sollte, war mir unerträglich.
Aber wenn diese Tortur wenigstens geholfen hätte! Auch nach zwei Wochen regelmäßig durchgeführter Anwendung ging es meinem Bein nicht einen Deut besser. Sogar mit den ultramodernen Krücken konnte ich nicht mehr als zwei Schritte machen. Ich war kurz vorm Verzweifeln. Immer öfter stellte ich mir wieder vor, mein Bein zu verlieren. Also schleppte ich mich erneut in die Klinik und beschrieb einem der Ärzte meinen Zustand.
»Ich glaube, wir sollten Sie eine Woche hier behalten. Ich muss nur schnell klären, ob wir ein freies Bett für Sie haben«, entschied der Arzt und griff zum Telefon.
Das war mir gar nicht recht. Eine Woche ohne Arbeit! Ich hatte doch vor Kurzem bereits zwei Tage verloren. Aber mir war auch klar, dass ich in meiner derzeitigen Verfassung sowieso nicht arbeitsfähig war.
Es war erst am nächsten Tag ein Bett für mich frei. So konnte ich wenigstens noch einmal nach Hause gehen, um alles mit Belle zu besprechen. Sie war einverstanden, Bob weiter zu versorgen, denn ihm galt natürlich meine größte Sorge. Bei Belle war er glücklich, da konnte ich sicher sein. Am nächsten Morgen stand ich auf und packte alles Nötige für die Klinik in eine Sporttasche.
Leider bin ich kein Vorzeigepatient. Die Betonung liegt auf dem Wort patient – was im Englischen auch »geduldig« bedeutet. Das war noch nie mein Ding. Ich brauche immer Beschäftigung.
Die ersten Nächte konnte ich trotz der Schlaftabletten, die sie mir gaben, keine Ruhe finden. Mein bisheriges Leben lief wie ein Film vor meinem inneren Auge ab, und ich zog Bilanz. Das Gedankenkarussell drehte sich um meinen Berg von Sorgen: mein Bein, mein allgemeiner Gesundheitszustand, mein Verkaufsplatz an der Haltestelle Angel und, wie immer, mein finanzieller Notstand. Aber vor allen Dingen zerbrach ich mir den Kopf über Bob.
Ich wurde den Gedanken nicht mehr los, dass Bob und ich uns lieber trennen sollten. Wir waren damals seit über zweieinhalb Jahren unzertrennlich, und er war der treueste Freund meines Lebens. Aber viele Freundschaften bestehen nur für gewisse Lebensphasen, und manchmal gehen sie eben zu Ende.
Mir war klar, dass ich in den letzten Wochen nicht gerade gute Laune versprüht hatte. Sollte ich Belle fragen, ob sie Bob behalten wollte? Oder den alten Mann von nebenan, mit dem er sich angefreundet hatte? Für mich wäre es eine Katastrophe, ihn zu verlieren. Er war mein bester Freund, mein Fels in der Brandung. Es gab sonst niemanden auf der Welt, der mir so wichtig war wie Bob. Ich brauchte ihn, um nicht vom rechten Weg abzukommen, und manchmal auch, um nicht durchzudrehen. Aber ich wollte die richtige Entscheidung für Bob treffen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Bis mir klar wurde, dass ich das gar nicht selbst entscheiden konnte und durfte.
Wie schon das Sprichwort sagt: Die Katze sucht sich ihren Menschen aus und nicht umgekehrt. So war es damals auch bei Bob und mir. Keine Ahnung, was er damals in mir gesehen hatte, dass er sich entschied, bei mir zu bleiben. Ich habe schon immer an Karma geglaubt, das kosmische Konzept von Ursache und Wirkung. Es besagt, dass man vom Leben zurückbekommt, was man der Welt gibt. Habe ich seine Zuneigung geschenkt bekommen für irgendetwas Gutes, was ich in meinem Leben getan habe? Soweit ich weiß, habe ich zumindest in diesem Leben noch keine besondere Leistung erbracht. Jedenfalls blieb mir nichts anderes übrig als abzuwarten, ob er sich noch einmal für mich entscheiden würde. Es lag allein bei Bob.
Ich würde seine Antwort bald bekommen, ganz sicher.
Weitere Tests, die man im Krankenhaus mit mir durchführte, hatten ergeben, dass die Dosis meiner Medikamente nicht stark genug gewesen war. Sie sollte erhöht werden, und deshalb wollten mich die Ärzte noch länger in der Klinik behalten, um zu überprüfen, ob es auch anschlug. »Nur ein paar Tage, damit wir die Wirkung und eventuelle Nebenwirkungen unter Kontrolle haben«, erklärten sie
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