Bob und wie er die Welt sieht
durchzuschlagen. Ich hatte keine Lust mehr auf Demütigungen von Leuten, die kein Mitgefühl kannten und überhaupt keine Ahnung von dem Leben hatten, dass ich gezwungen war zu führen. Es gab Momente, da war ich einem Zusammenbruch nahe.
Ein paar Tage nach der Begegnung mit unserem Bürgermeister hatte ich diesen Punkt dann tatsächlich erreicht.
An diesem Tag hörten Bob und ich früher als sonst auf zu arbeiten. Wir nahmen die U-Bahn-Linie Northern Line bis zur Haltestelle Euston. Dort wechselten wir zur Victoria Line und stiegen an der Victoria Station aus. Auf unserem Weg durch die Untergrund-Tunnelgänge lief Bob an der Leine vor mir her. Er kannte den Weg.
Wir wollten meinen Vater besuchen; das machte ich in den letzten Monaten wieder ziemlich regelmäßig. In der Vergangenheit war unsere Beziehung ziemlich angespannt und belastet gewesen.
Als sich meine Eltern trennten, bekam meine Mutter das Sorgerecht und nahm mich mit ans andere Ende der Welt, nach Australien. Als Kind habe ich ihn kaum gesehen. Mit achtzehn kam ich zurück nach London, als selbstgerechter, verstockter Teenager. Es dauerte nur ein Jahr, bis ich obdachlos wurde und mich komplett von meiner Familie abnabelte. Als ich wieder auftauchte, versuchte er, mir zurück auf die Beine zu helfen, aber ich war damals, ehrlich gesagt, jenseits jeglicher Hilfsangebote.
Seit ich den Entzug gemacht habe, sind wir uns wieder etwas näher gekommen. Wir treffen uns öfter mal auf ein paar Drinks in einem Pub an der Victoria Station. Die Bedienung dort war sehr nett und erlaubte mir, Bob mit hineinzuschmuggeln, solange ich ihn vor den anderen Gästen versteckt hielt. Er blieb tatsächlich brav unter dem Tisch liegen und döste. Es war ein fröhlicher Pub mit günstigen Preisen, sodass wir sogar meist etwas aßen. Mein Vater lud mich immer ein. Ich glaube, er hatte die Hoffnung aufgegeben, dass ich je genug Geld haben würde, um ihn einladen zu können.
Er wartete schon auf mich und begrüßte mich mit dem üblichen Satz: »Na, was gibt es Neues?«
»Nicht viel«, gab ich zur Antwort. Aber dann musste ich mir all den angestauten Frust von der Seele reden.
»Ich hab keine Lust mehr, The Big Issue zu verkaufen. Der Job ist zu gefährlich. Und London ist voll mit Leuten ohne Herz und Verstand, die sich einen Dreck um ihre Mitmenschen scheren.«
Dann erzählte ich ihm von meiner Begegnung mit Boris Johnson.
Er hörte mir zwar teilnahmsvoll zu, aber seine Reaktion war die gleiche wie immer. »Nun reiß dich mal zusammen und such dir einen richtigen Job, Jamie«, sagte er. (Mein Vater ist der Einzige, der mich so nennt.)
Ich verkniff mir ein genervtes Augenrollen. »Das ist leichter gesagt als getan, Dad.«, antwortete ich.
Mein Vater war schon immer ein Arbeitstier, ein Schwerarbeiter. Er war gelernter Antiquitätenhändler. Zuerst hatte er einen Reparaturservice für Haushaltsgeräte und später einen Wohnwagenhandel. Er war immer selbstständig. Ich glaube, er hat nie verstanden, warum ich nicht so war wie er. Aber ich muss ihm zugutehalten, dass er mich nie verstoßen hat. Er hat immer versucht, mir zu helfen. Als ich gerade in London angekommen war, wollte ich ins Musikgeschäft einsteigen. Sogar dabei wollte er mich unterstützen, aber zu guter Letzt konnte er nicht so, wie er wollte. Nach der Trennung von meiner Mutter hatte er wieder geheiratet und noch zwei Kinder, meine Halbgeschwister Caroline und Anthony, bekommen, um die er sich kümmern musste. Damals wurde die Sache kompliziert.
Ich habe mich nie dafür interessiert, in seiner Firma mitzuarbeiten, aber er hat es mir auch nie angeboten. Er war der Meinung, man sollte Familie und Geschäft voneinander trennen. Außerdem war ich nicht verlässlich – oder vorzeigbar – genug, um mit Kunden umzugehen.
»Wie wäre es mit einem Computerkurs oder so was? Da gibt es massenhaft Angebote«, schlug er vor.
Natürlich gab es Fortbildungen wie Sand am Meer, nur fehlten mir die Grundvoraussetzungen für die meisten davon. Das war natürlich meine eigene Schuld.
Vor einigen Jahren hatte ich einen Mentor, einen sehr engagierten Streetworker namens Nick Ransom. Er arbeitete für die Wohltätigkeitsorganisation Family Mosaic , und er war ein echter Freund. Entweder kam er zu mir nach Hause oder ich fuhr zu seinem Büro in Dalston. Er half mir bei den alltäglichen Dingen wie Rechnungen bezahlen und Bewerbungen schreiben. Er hat damals auch alles versucht, mich in verschiedenen Kursen unterzubringen, vom
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