Bob und wie er die Welt sieht
verkauft hatte. Ein drahtiger kleiner Typ mit grauen Haaren, um die fünfundvierzig. Er trug die auffällig rote Weste der Big Issue -Verkäufer, aber soviel ich wusste, war er kein Verkäufer mehr; man hatte ihm seine Lizenz wegen diverser Vergehen schon lange abgenommen. Seinem Freund war ich noch nie begegnet, aber er sah aus wie ein Schläger. Ein Riesenkerl mit aufgepumpten Muskeln.
Mir war klar, was sie vorhatten. Der kleinere der beiden schwenkte eine einzelne Ausgabe des Magazins in der Luft herum, hielt damit Leute auf und kassierte Geld von ihnen, ohne ihnen jedoch ihre Zeitung auszuhändigen. Sie spielten ein Betrugsspiel, das sich »einseitiges Geschäft« nannte. Dabei verwendet der Verkäufer eine alte Ausgabe der Zeitschrift, um eine ganze Reihe von Scheinverkäufen abzuwickeln. Immer wenn sie von jemandem Geld bekommen, erzählt der Verkäufer eine tränenreiche Geschichte, wie schlecht es ihm geht und dass es seine letzte Zeitung ist. Es war schlichtweg betteln. Es gab kein anderes Wort dafür.
Ich habe mich immer wieder gefragt, warum die Leute darauf hereinfielen. Aber letztendlich gibt es immer noch viele gutgläubige – oder auch großzügige – Mitmenschen.
Hoffentlich bleiben sie, wo sie sind, dachte ich wütend. Aber leider waren sie schon nach kurzer Zeit am Haupteingang angelangt. Der Kleinere der beiden sprach die Leute an, sobald sie die oberste Treppenstufe erreicht hatten. Ein Blinder konnte sehen, dass er kein zugelassener Verkäufer war. Seine Weste war total zerfetzt, als hätte er sie aus einem Müllcontainer gezogen. Außerdem fehlte der Ausweis, den alle offiziellen Verkäufer an der linken Seite ihrer Jacke für jeden gut sichtbar tragen müssen.
Während der Kleine weiterhin seine Nummer abzog, kam der Muskelprotz geradewegs auf mich zugeschossen. Sein Auftreten machte seinem Aussehen alle Ehre.
»He, du, verschwinde, oder ich dreh deiner Katze den Hals um«, kam er ohne Umschweife zur Sache. Dabei streckte er mir seinen roten Riesenschädel drohend ins Gesicht. Er hatte einen irischen Akzent, und sein Atem stank nach Alkohol.
Bob spürte sofort, dass wir da keinen netten Menschen vor uns hatten, und fauchte ihn an. Ich kniete mich hin, um ihn auf meine Schulter klettern zu lassen, bevor es noch ungemütlicher wurde.
Aber ich wollte mich nicht einschüchtern lassen: »Ich habe das Recht, hier zu verkaufen, und ich bleibe, bis ich meine letzten paar Zeitschriften losgeworden bin«, gab ich zur Antwort. »Du bist ein Blutsauger und zwingst deinen Kumpel, für dich zu betteln.«
Meine Widerworte gefielen ihm gar nicht, und er warnte mich ein zweites Mal.
»Du hast zwei Minuten, um dein Zeug zusammenzupacken und dich zu verp***«, drohte er, wobei er von seinem Kumpel abgelenkt wurde, der ihn zu sich heranwinkte. Er drehte ab und drängelte sich durch die Menschenmasse zu ihm hinüber.
Es waren gerade wieder viele Leute um uns herum, daher verlor ich die beiden kurz aus den Augen. Mit denen war nicht zu spaßen. Beide waren drogensüchtig und wollten nur genug Geld für ihren nächsten Schuss zusammenschnorren. Ich hatte gehofft, das Zeichen seines Freundes sollte bedeuten, dass sie die gewünschte Summe beisammen hatten und abhauen konnten. Aber so viel Glück sollte ich leider nicht haben.
Schon nach kurzer Zeit tauchte der Bullige wieder auf. Jetzt war er noch wütender als zuvor. Er schäumte im wahrsten Sinne des Wortes und spuckte mir nicht wiederholbare Kraftausdrücke ins Gesicht. »Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«, brüllte er schon von Weitem.
Noch bevor ich Luft holen konnte, hatte er zugeschlagen. Seine Faust knallte auf meine Nase, ohne dass ich ihn ausholen sah. Deshalb hatte ich auch keine Chance auszuweichen.
»Verdammt!«, entfuhr mir, während ich zurücktaumelte. Bob krallte sich an mir fest, um nicht abgeworfen zu werden.
Als ich meine Hand vom Gesicht nahm, war sie voller Blut. Es spritzte aus meiner Nase, und es fühlte sich an, als wäre sie gebrochen.
Diesen Kampf konnte und wollte ich nicht gewinnen. Natürlich war mal wieder keine Polizei in Sicht, und ich wollte mich mit diesem gewalttätigen Typen nicht anlegen.
Auf der Straße zu arbeiten ist immer mit einem Risiko verbunden. Aber manchmal war es richtig gefährlich. Ich hatte von Big Issue -Verkäufern gehört, die umgebracht wurden. Es gab einen Fall in Norwich, wo drei Typen über einen Zeitungsverkäufer hergefallen waren und ihn zu Tode geprügelt hatten. In dieser
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