Bob und wie er die Welt sieht
würde er zweimal hinsehen. Das passierte nicht oft, aber ich bildete mir ein, dass er für eine Sekunde total verblüfft aussah. Als wolle er sagen: »Nee, kann nicht sein, oder? Echt jetzt?«
Danach erkannten uns viele Leute anhand des Zeitungsartikels wieder. Diese Werbung machte sich schnell bezahlt, wenn auch nur in kleinen Dingen. Ich hatte dem Interview vor allem zugestimmt, weil ich mir dadurch mehr Umsatz für den Zeitschriftenverkauf erhofft hatte. Ich hatte gehofft, wenn die Leute unsere Geschichte kennen, würden vielleicht mehr von ihnen stehen bleiben und mit uns reden. Und so war es dann auch. In den darauffolgenden Tagen wurden wir von viel mehr Leuten freundlich begrüßt, nicht nur an der U-Bahn, sondern auch im Bus und auf der Straße.
Eines Morgens, als Bob im Park sein Geschäftchen verrichtete, trafen wir auf eine Klasse von Schulkindern. Sie waren vielleicht neun oder zehn Jahre alt und trugen hübsche blaue Uniformen.
»Schau mal, da ist Bob«, rief einer der kleinen Jungs aufgeregt.
Die anderen hatten keine Ahnung wovon er sprach. »Wer ist Bob?«, hörte ich eine Stimme fragen.
»Der Kater, der auf der Schulter des Mannes sitzt. Er ist berühmt. Meine Mutter sagt, er sieht aus wie Garfield«, erklärte der Junge seinen Freunden.
Es war schön, von Kindern erkannt zu werden, aber ich war nicht so glücklich über den Vergleich mit der berühmtesten Zeichentrick-Katze der Welt. Garfield ist fett, verfressen, faul und gemein. Außerdem hasst er jede Art von Bewegung oder Arbeit. Bob dagegen ist schlank und durchtrainiert, sein Fressverhalten ist normal und er ist der friedlichste und liebevollste Kater aller Zeiten. Und faul ist er schon gar nicht.
Wir hatten noch viele solcher Begegnungen nach dem Erscheinen des Artikels in der Islington Tribune . Die bedeutendste war allerdings die mit einer Amerikanerin, mit der ich mich schon früher einmal unterhalten hatte.
Ihr Name war Mary, und sie erzählte mir damals, dass sie Literaturagentin sei. Sie wohnte in der Nähe, und Bob und ich waren ihr angeblich schon oft vor dem U-Bahnhof aufgefallen.
Sie fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, ein Buch über mein Leben mit Bob zu schreiben. Ich gab zur Antwort, dass ich darüber nachdenken würde, aber ehrlich gesagt, habe ich sie nicht ernst genommen. Wie denn auch? Ich war ein Drogenabhängiger mitten im Entzug und kämpfte mit dem Verkauf der Big Issue täglich ums Überleben. Ich führte kein Tagebuch. Ich schrieb nicht einmal SMS auf meinem Handy. Ich las zwar gerne und alles, was mir an Büchern unter die Finger kam. Aber ein Buch zu schreiben war für mich genauso realistisch wie eine Mondrakete zu bauen oder für den Bundestag zu kandidieren. Anders ausgedrückt: Daran war gar nicht zu denken.
Zum Glück gab sie nicht auf und sprach mich nochmals darauf an. Sie verstand meine Bedenken und schlug vor, ich solle mich mit einem Autor treffen, der Erfahrung darin hatte, die Geschichten anderer Leute in Buchform zu bringen. Sie sagte auch, dass er gerade noch an einem anderen Buch arbeitete, aber dass er sich gegen Ende des Jahres mit mir in Verbindung setzen würde. Nach dem Artikel in der Islington Tribune nahm sie wieder Kontakt mit mir auf und wollte von mir wissen, ob ich ihn auch wirklich treffen wollte.
Sollte er der Meinung sein, dass es über Bob und mich genug zu berichten gab, um ein Buch zu füllen, würde er sich mit mir zusammensetzen, sich alles von mir erzählen lassen und mir dann dabei helfen, es in eine gute Form zu bringen und es zu schreiben. Mary würde dann versuchen, das Buch an einen Verlag zu verkaufen. Das alles klang für mich viel zu weit hergeholt.
Ich habe dann wieder eine Weile nichts von ihr gehört, aber gegen Ende November rief mich dieser Autor an. Sein Name war Garry.
Wir vereinbarten ein Treffen und er ging mit mir auf einen Kaffee in das Design Centre gegenüber von meinem Verkaufsplatz. Da ich Bob dabeihatte, mussten wir in der Eiseskälte draußen sitzen. Bob war besser im Einschätzen von Menschen als ich, also ließ ich die beiden absichtlich zweimal allein. Sie verstanden sich prächtig; das war ein gutes Zeichen.
Mir war klar, dass Garry herausfinden wollte, ob meine Geschichte für ein Buch geeignet war, und ich versuchte deshalb, so offen wie möglich zu sein.
Die dunkle Seite meines Lebens wollte ich nicht so gerne auspacken. Aber dann sagte er etwas, womit er einen Nerv bei mir traf. Er könne sehen, dass Bob und ich zwei
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