Bob und wie er die Welt sieht
wegzubringen. Du warst gerade im Bad. Natürlich habe ich die Tür hinter mir geschlossen. Aber da könnte er sich ohne mein Wissen mit rausgeschmuggelt haben. Als ich zurückkam, hat er sich wohl versteckt. Er ist einfach zu schlau. Manchmal würde ich zu gerne wissen, was in seinem Kopf vorgeht.«
Ich musste lachen. Darüber habe ich mir in den letzten Jahren schon oft den Kopf zerbrochen. Immer wieder frage ich mich, was in Bobs niedlichem Köpfchen wohl so vor sich geht. Ja, ich weiß: Es ist sinnlos, menschliches Verhalten auf ein Tier zu übertragen. Ich glaube, man nennt das Anthropomorphismus. Aber es war einfach zu verlockend.
So war es beispielsweise gar nicht schwer zu verstehen, warum Bob sich so über seinen neuen Aussichtsturm im Flur freute. Es gab nichts Schöneres für ihn, als zuzusehen, wie die Welt an ihm vorüberzog. In der Wohnung saß er gerne stundenlang auf dem Fenstersims in der Küche. Manchmal hielt er den ganzen Tag Wache und registrierte wie ein kleiner Sicherheitschef alles, was da unten so vor sich ging.
Sein Blick verfolgte jede Bewegung der Leute auf der Straße, wie sie auf unser Haus zukamen und daran vorübergingen. Wenn jemand in den Hauseingang abbog, wurde sein Hals immer länger, bis er die Person aus den Augen verlor. Vielleicht bin ich ja verrückt, aber ich fand es sehr unterhaltsam, ihn dabei zu beobachten. Er nahm die Sache so ernst, dass man meinen konnte, er hätte eine Liste von all den Leuten, die zu einer bestimmten Zeit in eine bestimmte Richtung laufen durften. Und die musste ständig aktualisiert werden. Sobald jemand vorbeiging, wurde er abgehakt. Etwa so: »Ja, okay, ich erkenne dich«, oder: »Los, schneller, du bist spät dran und wirst deinen Bus versäumen.« Manchmal wurde er unruhig, als würde er denken: »Hey, warte! Dich kenne ich nicht«, oder: »Hey, ich habe dich noch nicht überprüft! Wo willst du hin? Komm sofort zurück!«
Ich konnte Bob stundenlang dabei zusehen. Belle und ich nannten dieses Spiel »Bob auf Patrouille«.
Aber Bobs Ausflug auf den Flur gehörte zu einem anderen Lieblingsspiel: Es hieß Verstecken.Wo ich ihn schon überall gefunden hatte! In den entlegensten Schlupfwinkeln, Hauptsache warm.
Eines Abends wollte ich vor dem Zubettgehen noch ein Bad nehmen. Als ich die Badezimmertür aufstieß, hatte ich das Gefühl, sie wäre schwerer als sonst. Sie brauchte einen Extraschubs, um aufzuschwingen.
Aber ich dachte nicht weiter darüber nach und drehte den Wasserhahn der Badewanne auf. Dann warf ich einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken. Dabei nahm ich eine Bewegung auf den Handtüchern im Regal auf der Rückwand der Tür wahr. Bob.
»Wie bist du denn da hochgekommen?«, fragte ich lachend.
Er kann nur über die Kommode neben der Tür hochgeklettert und dann mit einem waghalsigen Sprung auf das Türregal mit den Handtüchern gelangt sein. Mit welch außergewöhnlichem Balance-Akt er es dann auf das oberste Handtuch geschafft hat, ist mir ein Rätsel. Es sah ziemlich unbequem und gefährlich aus, wie er nun da oben thronte, aber er fühlte sich ganz offensichtlich wie ein König.
Das Badezimmer war sowieso sein Lieblingsort zum Verstecken. Große Anziehungskraft dafür hatte der Wäscheständer, den ich besonders im Winter oft in die Wanne stellte, um meine Wäsche zu trocknen. Wenn ich beim Zähneputzen war oder auf der Toilette saß, kam es vor, dass sich die Kleidungsstücke plötzlich bewegten. Wenn Bob dann die Wäsche wie Vorhänge beiseiteschob und dazwischen hervorlugte, lachte der Schalk aus seinen Augen vor Freude, dass er mich erschreckt hatte. Er hielt das für großes Entertainment.
Auch Bobs Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen, war oft zu komisch. So hatte er beispielsweise einen Faible für Fernseh- und Computer-Bildschirme. Bei Tierdokumentationen und Pferderennen saß er oft stundenlang vor der Glotze und starrte wie hypnotisiert auf die bewegten Bilder. Als wir eines Tages in Covent Garden an dem neuen Apple-Laden vorbeikamen, beschloss ich, ihm eine Freude zu machen, und wir gingen hinein. Der Laden platzte fast aus den Nähten mit blank polierten Laptops und iPads, die ich mir niemals würde leisten können. Aber laut Apple-Philosophie darf jeder ihre Technologie ausprobieren. Und genau das taten wir.
Wir verbrachten einige Zeit vor den unterschiedlichsten Modellen, probierten das Internet aus und sahen uns Videos auf YouTube an. Dann entdeckte Bob einen Bildschirm mit einem Aquarium
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