Bob und wie er die Welt sieht
manche Anschuldigungen werden aus Neid oder Wut erfunden. Trotzdem muss die Polizei jeder Anzeige nachgehen. Manchmal bekommt man die Polizei auf den Hals gehetzt, nur damit ein begehrter Verkaufsplatz frei wird, sodass er von jemand anderem benutzt werden kann. Es gab auch schon ein paar Kollegen, denen es gar nicht in den Kram passte, dass ich an der U-Bahn-Station Angel so erfolgreich war. Sie hätten viel dafür getan, diesen zu übernehmen. Das war ein ziemlich schäbiger Trick, der aber leider immer funktionierte.
Dann kam mir ein noch schrecklicherer Gedanke: Jemand versuchte, meinem Buch zu schaden. Inzwischen wusste die ganze Big Issue -Gemeinde davon. Diverse Zeitungen hatten die Geschichte aufgegriffen, und ich hatte von vielen Kollegen positive, aber auch negative Kommentare zu hören bekommen.
Eine von den Vertriebsleiterinnen hatte mir gesteckt, dass ein Kollege herumerzählte, man müsse mir verbieten, weiter die Big Issue zu verkaufen. Diese Meinung war mir nicht neu, denn ein Kollege aus der Innenstadt hatte mir diesen Vorwurf eines Tages bereits persönlich ins Gesicht geschleudert. Er nannte mich dabei ein »verdammtes Hippie-Model«, was ich aber als Kompliment auffasste. Warum kapierten die nicht, dass ich mit dem Buch etwas Gutes für The Big Issue und seine Verkäufer tun wollte? Stattdessen war ich nun »Staatsfeind Nr. 1« für einige Big Issue -Kollegen geworden.
Noch vor der Ankunft auf der Polizeistation hatten sich die beiden Gesetzeshüter mit Bob angefreundet. Sie waren sehr angetan von ihm. Deshalb kümmerten sie sich auf dem Revier auch zuerst um sein Wohl.
»Okay, wir brauchen jemanden, der sich um Bob kümmert, bevor wir Sie befragen«, informierte mich der ältere meiner beiden Wachhunde.
Sie riefen eine junge, blonde Polizistin heran. Sie hatte Bob sofort in ihr Herz geschlossen. Aber der presste sich noch an meinen Nacken und betrachtete die ungewohnte Umgebung argwöhnisch.
»Okay, also das ist Bob?«, fragte sie und streckte ihre Hand aus, um ihn zu streicheln. Anscheinend fand er sie auch gleich sympathisch, denn er rieb seinen Kopf an ihrer Hand und schnurrte dabei. »Glauben Sie, ich darf ihn hochheben?«, fragte sie mich.
»Also, wenn er von allein zu Ihnen kommt, können Sie es gern versuchen«, ermutigte ich sie, weil ich sah, dass er sie mochte.
Wie ich schon vermutet hatte, ließ er sich von ihr tatsächlich auf den Arm nehmen.
»Na, dann komm doch mal mit, wir schauen mal nach, ob wir etwas Leckeres zu essen oder zu trinken für dich finden«, lockte sie ihn mit sanfter Stimme.
Ich sah den beiden nach, wie sie hinter dem Empfangsbereich in einem großen Büroraum mit mehreren Tischen, Kopierern und Faxgeräten verschwanden. Bob war sehr beeindruckt von all den blinkenden roten Lichtern und den ratternden Maschinen. Das gefiel meinem neugierigen Rotpelzchen. Beruhigt folgte ich den beiden Polizisten.
»Keine Angst, bei Gillian ist er wirklich gut aufgehoben«, meinte der jüngere Polizist, als wir durch ein paar Glastüren in den Befragungsraum gingen. Ich glaubte ihm sofort.
Beim Eintritt in den kleinen Raum übermannte mich dann aber doch ein mulmiges Gefühl. Sie erklärten mir, dass man mich wegen Beschaffungskriminalität befragen würde. Dazu gehörten Straftaten wie Diebstahl, Raub oder Überfälle, die von Drogensüchtigen oder -dealern begangen werden, um Drogen kaufen zu können. Das bedeutete, dass mir ein Drogentest bevorstand und sie meine Fingerabdrücke nehmen würden.
Wie sich die Zeiten doch ändern! Noch vor einem Jahr hätte mich diese Situation mehr als beunruhigt. Aber diesmal ließ mich der Cozart-Test kalt. Dabei wird mit einem langen Wattestäbchen Speichel aus dem Mund geholt, um Rückstände von Heroin und Kokain nachzuweisen. Ich wusste ja, dass ich clean war, und beteuerte das auch. Aber die Polizisten brauchten den Beweis.
»Gehört leider zum Pflichtprogramm«, sagte einer mit bedauerndem Schulterzucken.
Danach setzten sie sich zu mir an den Tisch und stellten ihre Fragen. Sie wollten wissen, ob ich am Vortag an einem bestimmten Ort in Islington gewesen war. Die genannte Adresse hatte ich noch nie gehört, genauso wenig wie den Namen einer Frau, den sie mir nannten.
Als ich vor vielen Jahren noch tief in meinem Suchtsumpf steckte, wurde ich ein paar Mal wegen Ladendiebstahls verhaftet. Damals habe ich gelernt, solche Fragen nur mit der Floskel »Kein Kommentar« zu beantworten. Aber ich wusste auch, dass man die Jungs in
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